Und die Goetter schweigen
Jahren gehört …«
»Und nun sind Sie gekommen, um nachzufragen, ob Disa Månsson Mitglied in unserer Vereinigung war? Stimmt’s?« Maria nickte. »Sind Sie Journalistin? Ich weiß, dass die Zeitungen von einem ähnlichen Mord weiter oben im Land schreiben. Ja, sie war Mitglied bei Freyjas Nachkommen. Das hat uns sehr geschadet. In dem Jahr haben wir viele Mitglieder verloren, besonders Gymnasiasten. Eltern, soziale Dienste und der Rektor der Schule haben uns geächtet. Ich dachte schon, die schlimmste Heimsuchung sei vorbei. Aber jetzt geht es offenbar wieder los.«
»Wie würden Sie Disa Månsson beschreiben?« Maria lächelte entwaffnend und lehnte sich im Stuhl zurück, um zu signalisieren, dass sie bereit war, lange zuzuhören. »Manchmal war sie richtig charmant, manchmal schroff und schwierig. Meiner Meinung nach war sie unzuverlässig. Einmal ist die ganze Vereinskasse verschwunden. Die Sache wurde nie aufgeklärt, aber etwa zur gleichen Zeit erhielten wir von ihrem Vater, Henrik Månsson, eine Spende in etwa gleicher Höhe wie der verschwundene Betrag. Nach dem Tod des Vaters wurde sie erst recht sonderbar. Am Tag vor dem Autounfall besuchte sie uns. Sie wollte, dass wir ihre Göttlichkeit anerkennen. Das war doch recht peinlich. Sie trat ungebeten ans Rednerpult und erzählte von der Zauberin Gullveig, eine Sage aus der nordischen Mythologie.« Die Kassiererin der Gesellschaft begann, die Kaffeetassen vom Tisch zu räumen, und wischte sich die Krümel in die Hand. Sie schien fertig gesprochen zu haben. Vielleicht wollte sie schnell nach Hause. Maria hängte sich an sie wie ein halb verhungerter Staubsaugerverkäufer. »Worum geht es bei dieser Geschichte? Ich habe keinerlei Ahnung von nordischer Mythologie. Das bisschen, das man in der Schule gelernt hat, habe ich im Laufe der Jahre völlig vergessen. Ich möchte es wirklich wissen!« Das Zusammenstellen der Kaffeetassen wurde unterbrochen. Ein geduldiges und pädagogisches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Frau aus. »Die Göttin Gullveig war so hübsch, ihre Schönheit so strahlend, dass sie bei den Menschen das Verlangen nach Gold hervorrief. Der Rausch verdarb die ganze Gesellschaft und führte zum Krieg. Die Asen beschlossen daher, sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Dreimal wurde sie verbrannt, und jedes Mal stieg sie noch schöner, noch edler aus dem Feuer. Disa behauptete, der Mythos handele von ihr selbst. Sie würde aus dem Leiden steigen, aus dem Feuer, jedes Mal noch edler, und für uns sei es nun an der Zeit, ihre Göttlichkeit anzuerkennen. Sie war sehr krank. Wir litten, als wir da saßen und ihr zuhörten. Gleichzeitig durfte man dankbar sein, dass ihr Vater das nicht mehr miterleben musste. Henrik Månsson war Archäologe. Er hielt mehrmals Vorträge hier. Ein Mann mit großem Wissen über die nordische Mythologie. Sicherlich hatte er Probleme mit seiner Tochter. Größere, als wir jemals geahnt haben.«
»Wie sah Disa aus?«
»Sie war kräftig gebaut, so als ob unser Herr sie mit einer Axt erschaffen und vergessen hätte, die Feinheiten mit der Feile nachzuarbeiten. Sie hatte ein kräftiges Kinn, recht maskuline Gesichtszüge. Üppiges Haar. Ich schätze, sie hatte früher auch kräftige Augenbrauen, die waren völlig abrasiert, und dann malte sie neue darüber. In der letzten Zeit trug sie eine Perücke. Im Sommer wie im Winter trug sie eine schwarze Lederjacke. Aber sie ist tot. Sie starb kurz darauf bei einem Autounfall oder einem Brand, irgend so was. Ich weiß, dass sie als Zahnarzthelferin bei einem privaten Zahnarzt namens Eriksson arbeitete. Der hat immer noch seine Praxis in Uppsala. Mit Mühe und Not hat er die schweren Jahre nach dem Mord überstanden, als die Kunden ihn mieden. Ich habe ihn neulich auf einem Fest getroffen, daher weiß ich, dass er noch in der Stadt ist.« Maria bedankte sich und ging hinaus in den Vorraum, wo die Herren auf sie warteten. »Können wir uns heute Abend treffen, irgendwo hingehen«, fragte Patrik. Er sprach leise und schnell, aus Angst, abgewiesen zu werden, noch ehe er seinen Vorschlag unterbreitet hatte. Maria zögerte. Sie hatte ihre alte Freundin Karin Bengtsson angerufen, sie wollten sich in einem Restaurant in der Stadt treffen. Patrik konnte auch dazukommen. Das war Maria ihm schuldig, so wie er sich um sie gekümmert hatte. Sie wollte nur vorher noch nach Hause gehen und sich umziehen. Sie verabredeten sich für neun Uhr.
Erwartungsvoll hatte Maria den Bus in die
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