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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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weißen Spiegelkommode stand das Schmuckkästchen mit Muscheln, das Linda so hübsch fand, und beiderseits der Tür konkurrierten »Die Lebensalter des Mannes« und »Die Lebensalter der Frau« mit der blumigen Tapete. Marias Bruder pflegte immer zu sagen, dass man sich so etwas ansehen konnte, solange man auf dem Weg nach oben, also bis 50 Jahre alt, war. Wenn es erst abwärts ging, machte es keinen Spaß mehr hinzugucken. Wohl aus diesem Grund waren die Bilder im Mädchenzimmer gelandet. Maria knipste die Lampe aus. Die kahlen Zweige des Apfelbaumes veranstalteten im Schein der Straßenlaterne ein Schattenspiel auf dem Rollo. Im Wind schwangen sie hin und her, griffen ineinander, ließen sich los und glitten zur Seite. Die Düfte im Haus waren die gleichen wie in ihrer Kinderzeit, ein spezieller Hausgeruch, Kaffee, grüne Seife und Küchendunst. An der Grenze zwischen Schlaf und Wachen tauchte das Wort auf. Das Wort, das Maria in dieser Nacht den Schlaf rauben würde: JARA, das Runenzeichen Jara. Woher konnte Patrik wissen, dass die Rune Jara auf den Stein am Tatort im Kronwald gezeichnet worden war? Wie konnte er das wissen? Der Gedanke machte sie schwindeln, kam schnell hoch und wurde kristallklar. Maria hatte die Rune nie erwähnt! Das gehörte zu den Informationen, die Sturms Anweisungen zufolge unter der Decke gehalten werden sollten. Ebenso die Sichel und die Weizenähre. Disa Månsson hatte einen Helfer. »Du bist mein auf ewig, Maria! Ich habe auf dich gewartet, gewartet! Wir sind wieder vereinigt. Ich wusste, dass du kommen würdest!« Woher wusstest du das? Jara! Wie konntest du das mit der Rune wissen? Woher konntest du wissen, dass ich nach Uppsala kommen würde? Eins achtzig groß. Die Puzzlestücke fielen reihenweise auf das Brett. Schuhgröße 42 und 46. Patrik hatte Schuhgröße 42, meinte Maria sich zu erinnern. Sie hatte mit ihren Pumps genau Platz in seinen Schuhen gehabt. War Patrik in den Mord im Kronwald verwickelt? War er dort gewesen, in der Nähe ihres Hauses? Der eine Einfall wilder als der andere ließ die Nacht aufleuchten. Das Zigarettenpaket, das aus der Schublade verschwunden war, das Nachthemd. In das Holzhaus einzubrechen war ein Kinderspiel. Die Schlösser waren so standardisiert, dass sicher jeder dritte Nachbar mit seinem eigenen Hausschlüssel ohne Mühe hineinkommen konnte. Dagegen hatten sie nichts unternommen. Ein Einbruch in der Smedjegränd war ebenso undenkbar wie ein Vulkanausbruch auf dem Kinnekulle, dem bekannten Berg in Västergötland. Der tote Vogel, der in die Tür eingeklemmt auf dem Balkon lag, wo kam der her? Wenn es nun nicht die Schwiegermutter war, die in den Schubfächern gewühlt hatte? Der Gedanke an sich war unwahrscheinlich. Ein Hirngespinst in später Nacht. Patrik war ein angesehener Kriminalinspektor. Wer würde sich Maria Werns vage Spekulationen anhören? Niemand! Niemand würde ihr glauben! Alter Liebeskummer. Sie musste irgendwie Beweise erbringen. Als Erstes musste sie Patriks Dienstplan kontrollieren, ohne dass er etwas merkte. Wenn er im Dienst gewesen war, ein Alibi für die Tatzeit hatte, würde Maria über sich selbst lauthals loslachen, aber dazu war es noch zu früh. Der Gedanke hatte sich festgefressen und würde weiterwachsen, bis er durch Beweise seiner Unschuld erstickt wurde. Maria zog die Spieldose in Form einer kleinen weißen Kirche auf, die auf ihrem Nachttisch stand. »Stille Nacht« klang es durch das Dunkel, erst in rasendem Tempo, dann mit leichtem Bremseffekt in einem Andante, bevor der letzte schwache Ton zaghaft ausklang. Es lag Sicherheit in der einfachen, von der kleinen Spieldose gespielten Melodie, ein Geborgenheitsgefühl. Sie konnte ihren Vater und ihre Mutter natürlich nicht mitten in der Nacht wecken und ihnen von ihren Befürchtungen erzählen, aber sie konnte ein wenig von der Obhut ihrer Kindheit ausleihen.

DER 27. DEZEMBER

15

    »Ich war im Dienst im Winter 1986. Das ist richtig.« Kriminalinspektor Bernhard Myhr stopfte langsam und sorgfältig seine Pfeife, riss mühsam ein Streichholz an der schon lange abgenutzten Fläche an und hielt es über den Tabak. Mit kleinen saugenden Bewegungen, die in komischem Kontrast zu seinen rustikalen männlichen Gesichtszügen standen, sog er den Rauch ein. Er blinzelte mit den Augen, nahm einen tiefen Zug und lehnte sich in den Ledersessel zurück. »So, Sie sind also gekommen, um von mir etwas über den Mord bei der Kirche in Gamla Uppsala im Winter 1986 zu hören?«

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