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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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Maria Wern bejahte und blickte ihren Kollegen aufmerksam an. Sie sah, dass die Müdigkeit dauerhafte Spuren wie tiefe Falten in seinem Gesicht hinterlassen hatte. Die schwerfällige Körperhaltung. Die Sorge in seinen Augenwinkeln. Bernhard war vorzeitig in Pension gegangen, um seine demenzkranke Frau zu Hause zu pflegen. In den letzten beiden Jahren hatte er keine einzige Nacht durchschlafen können, nur immer ein paar Stunden, erzählte er. Louise hatte Tag und Nacht in ihr Gegenteil verwandelt. Tagsüber konnte sie sich kaum wach halten. Nachts wanderte sie unruhig umher. Jetzt saß sie auf dem Wohnzimmersofa und döste mit offenem Mund vor sich hin. Maria konnte sie vom Arbeitszimmer aus durch die Glasscheibe sehen. Das Gebiss im Oberkiefer war heruntergekippt und entblößte das künstliche, viel zu rosafarbene Zahnfleisch. Bernhard Myhr fuhr sich mit der Hand über den Schnurrbart und seufzte tief. »Ich habe die Ereignisse in Kronköping mit größtem Schaudern verfolgt. Mehrmals war ich drauf und dran, euch anzurufen, habe mich aber zurückgehalten. Es ist nicht sicher, ob ich euch weiterhelfen kann. Ich hätte eure Zeit vielleicht nur unnötig in Anspruch genommen. Die Frau, die den Mord in Uppsala verübt hat, Disa Månsson, ist tot. Sie starb in einem brennenden Auto, verkohlt bis zur Unkenntlichkeit. Wir haben sie nur über das Zahnschema identifizieren können. Sie hatte einen Abschiedsbrief geschrieben. Es war Selbstmord. Sie ist gegen eine Bergwand gefahren, das Auto geriet in Flammen. Hier ist ihr Abschiedsbrief, wenn Sie ihn sehen wollen.« Bernhard nahm ein vergilbtes Stück Papier aus der dicken Mappe.
    Eine Esche weiß ich, sie heißt Yggdrasil, die hohe, umhüllt von hellem Nebel; von dort kommt der Tau, der in die Täler fällt, immergrün steht sie am Urdbrunnen.
    Von dort kommen Frauen, vielkundige, drei, aus dem Born, der beim Baume liegt: Urd hieß man eine, die andre Werdandi – Sie schnitten ins Scheit –, Skuld die dritte; Lose lenkten sie, Leben koren sie Menschenkindern, Männergeschick.
    Ich, Disa Månsson, fühle mich in Midgard, der Welt der Menschen, nicht länger wohl. Ich habe meine Rache genommen. Leben für Leben. Ehre und Ruhm gerettet. Von Odin, Odin selbst, werde ich nun erhöht zu einer Ase. Mein Name soll War sein und mein Zuhause in Asgard.
    Maria reichte den Brief zurück. Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
    »Ich fürchte, ich verstehe nicht viel davon. Mir kommt es nur merkwürdig vor.«
    »Den ersten Teil des Briefes begreife ich als eine Art Glaubensbekenntnis. Er stammt aus dem ersten Lied der Edda und handelt von der Weltesche Yggdrasil und den drei Nornen, die den Faden des Lebens spinnen und das Schicksal jedes Menschen bestimmen. Skuld ist die Zukunft, Urd das Geschick und Werdandi das Sein. ›Die Esche Yggdrasil muss mehr aushalten, als die Menschen wissen.‹ Die Frucht des Untergangs wurde bei der Erschaffung selbst gesät. Die Nornen begießen die Weltesche mit heilendem Wasser. Der Abschiedsbrief handelt davon, dass Disa das Leben, Midgard, die Welt der Menschen, verlassen und sich eine neue Gestalt nehmen will. Sie nennt sich Asin War. In den letzten Jahren habe ich mir die Zeit damit vertrieben, ein bisschen über nordische Mythologie zu lesen. Die Göttin War ist eine Art Racheengel, der denjenigen bestraft, der seinen Eid bricht. Asgard ist das Land der Götter.«
    »Sie nimmt sich ein neues Schicksal und bestraft denjenigen, der seinen Eid bricht. Taucht bei den Ermittlungen, die Sie geleitet haben, der Name Dick Wallström auf?« Bernhard schüttelte den Kopf. »Weder Kent Asp noch Dick Wallström stehen in den Unterlagen. Das habe ich kontrolliert, lange bevor Sie gekommen sind. Trotzdem gibt es große Ähnlichkeiten bei den Morden. Der Zeitpunkt: Mittwintersonnenwende. Es war wie ein Opfer ausgeführt. Ich vergesse niemals den Wintermorgen, als ich zu der Kirche in Gamla Uppsala gerufen wurde und einen von einem Speer durchbohrten Mann vorfand. Er hing in einer Esche, auch das hat rituelle Prägung. Er hing da barfuß mit einer Schlinge um den Hals. Die Nägel an Händen und Füßen waren bis ins Fleisch heruntergeschnitten. In den Bäumen ringsumher hingen tote Tiere. Zwei kleine Kinder haben ihn gefunden. Die waren unterwegs und probierten ihre neuen Ski aus. In der Nacht war viel Schnee gefallen. Der Schneepflug musste uns helfen hinzukommen. Fußspuren konnten wir sichern. Disa hatte einen Helfer. Einen Mann mit Namen Vidar, eine

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