Und die Goetter schweigen
Sichel. In den Stamm des Baumes, an dem er hing, war ein Zeichen eingeritzt.« Maria spürte, wie der Schweiß ihre Achselhöhlen herunterlief. Während Kriminalinspektor Myhr erzählte, hatte sie ihre feuchten Hände unter der Tischplatte zwischen den Knien gerungen. Patrik! Die Rune Jara! Die Göttin War, die denjenigen bestraft, der seinen Eid bricht, vielleicht eine Verlobung? »Das Zeichen konnte ich nicht deuten, aber es gibt hier eine Fotografie«, sagte Bernhard. »Die habe ich mit meiner eigenen Kamera aufgenommen und hier zu Hause aufgehoben. Ich hätte sie zu den Ermittlungsunterlagen legen sollen, aber daraus ist nichts geworden. Der Fall wurde nach Disa Månssons tragischem Tod zu den Akten gelegt.« Maria verlangte mit Nachdruck, das Foto ansehen zu dürfen, und ihr Verdacht bestätigte sich. Es war das Runenzeichen Jara. »Haben Sie über diesen Mord mit Kriminalinspektor Patrik Hedlund gesprochen?«
»Nein, habe ich nicht. Da bin ich sicher. Patrik war Polizeiassistent, arbeitete 1986 in Västerås. Über diesen Mord haben wir nie geredet«, antwortete Bernhard erstaunt. »Diese Rune, die Sie fotografiert haben, haben Sie die irgendjemandem gezeigt?«
»Nein, dazu ist es nicht mehr gekommen. Wie ich schon sagte, die Ermittlungen wurden eingestellt, als Disa Månsson sich das Leben genommen hatte. Das Foto befand sich in der Kamera, damals habe ich einfach nicht daran gedacht, später ist es dann zwischen die Familienbilder geraten.«
Ein beißender Gestank nach verbranntem Plastik drang durch die Küchentür, durchdringend trotz des Pfeifenrauchs. Sofort war Bernhard da. Ganz ruhig schaltete er die Platte ab, stellte den Ventilator an und kratzte das Plastik mit dem Bratenwender ab. Marias Augen tränten von dem scharfen Gestank. Louise saß am Küchentisch und zählte laut und konzentriert Münzen in ihre Schürze. »Wie lange will sie noch bleiben? Ich will nicht, dass sie hier bleibt! Sucht sie Arbeit?« Louise musterte Maria von Kopf bis Fuß. Mit unendlicher Geduld geleitete Bernhard seine Frau aus der Küche zum Fernseher, stellte einen alten Film an und kam zurück. Kein böses Wort über das, was passiert war. »Sie wird nur ungeduldig und aufgeregt, wenn ich von Gefahren spreche. Das führt zu nichts.«
»Sie sind ein guter Ehemann, Bernhard Myhr«, sagte Maria anerkennend und legte ihre Hand auf seinen Arm. Der kräftige Mann begann zu weinen. Ohne sein Gesicht zu verbergen, ließ er die Tränen die Wangen hinunterlaufen. »Das Schlimmste ist, so angebunden zu sein. Wir können nicht länger zu unseren Freunden gehen. Louise wird nur unruhig, wenn sie die Leute nicht erkennt. Sie sagt ganz laut, dass sie nach Hause will, sobald wir aus der Tür treten, sie sagt falsche und hässliche Worte, Dinge, die sie nie aussprechen würde, wenn sie gesund wäre. Unsere Freunde kommen nicht mehr zu uns. Ich weiß, dass es Wohnmöglichkeiten für Demenzkranke gibt, in die sie einziehen könnte. Aber ich kann sie nicht allein lassen. Sie würde noch verwirrter und unglücklicher werden. Sie würde schreien, wenn ich wegginge, und ihre Schreie würden in meinem Kopf widerhallen, bis wir uns wiedersehen. Darum denke ich, ich will sie bei mir haben, solange ich es bewältigen kann und solange sie mich erkennt. Wir haben keine Kinder, nur uns selbst.«
»Ist sie schon lange krank?«
»Es hat vor zwei Jahren angefangen. Louise wollte einkaufen gehen und fand nicht wieder nach Hause. Danach wurde es immer schlimmer. Sie war in guter physischer Verfassung und konnte weit laufen. Manchmal kamen meine Kollegen mit ihr nach Hause. Häufig waren sie so nett und beförderten sie in ihren privaten Autos, der Nachbarn wegen. Sie lief zu ihrem Elternhaus. Als ich sie fragte, wie alt sie sei, antwortete sie: Du weißt doch, dass ich gerade in die Schule gekommen bin. Nein, nun wollen wir nicht länger über Louise und mich sprechen. Das belastet mich zu sehr. Gibt es noch etwas, was Sie wissen wollen?«
»Es gibt Männer, die leiden grässlich an einem Schnupfen, sie sprechen ständig über ihre Schmerzen, wenn sie sich bei einem Fußballspiel den großen Zeh gestoßen haben, warum sollten Sie also nicht darüber sprechen, wie es Ihnen geht, wo Sie wirklich etwas zu erzählen haben?« Bernhard murmelte undeutlich vor sich hin und bat Maria mit einer Geste, zum Thema zurückzukehren. »Haben Sie ein Foto von Disa?«
»Ja, müsste ich hier irgendwo haben.« Bernhard blätterte in der dicken Mappe und zog ein
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