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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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kleines Passfoto heraus. Beim ersten Anblick der maskulinen Frau bekam Maria den Eindruck, als käme ihr das Gesicht bekannt vor. Irgendwas mit den Augen, das Fehlen der Augenbrauen, ein gespannter Zug um den Mund. Nein, eigentlich konnte sie nicht sagen, dass Disa einer bestimmten Person ähnelte, die sie kannte. Eigentlich nicht. Das Wiedererkennen war eher eine Ahnung, ein Puzzle mit austauschbaren Teilen, bei dem einige Teile passten und andere überhaupt nicht dazuzugehören schienen.

16
    Maria setzte sich in ihr Auto und fuhr einen Block weiter, bevor sie ihr Handy herausholte. Sie fühlte sich ungestörter, wenn Bernhard Myhr sie nicht von seinem Fenster aus sehen konnte. Sie müsste einfach wissen, wie es Karins Vater ging. Wenn das Schlimmste eingetroffen war, wenn er seinen Infarkt nicht überlebt hatte, wollte sie mit ihrer Verzweiflung allein sein. Bernhard hatte schon genug Probleme. Vielleicht war jemand von der Familie aus Stockholm zurückgekommen oder hatte eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen. »Aber Maria, von wo rufst du an? Patrik hat gesagt, dass du schleunigst nach Kronköping zurückgemusst hättest. Wie geht es deiner kleinen Linda? Ist sie noch im Krankenhaus? War es der Blinddarm?« Maria verstummte … Was in aller Welt … »Hallo, bist du noch dran? Ist was Ernstes passiert?«
    »Nichts anderes, als dass Patrik ein Scheißkerl ist!«
    »Ja, aber das haben wir doch vorher gewusst!«, lachte Karin. »Das ist doch nichts Neues.«
    »Ein großer verdammter Lügner! Wie geht es denn deinem Vater?«
    »Weiß nicht. Er wird bei der Arbeit sein. Gestern Abend ging es ihm jedenfalls prima, als ich zum Essen zu Hause war. Weshalb fragst du?«
    »Darüber sprechen wir später. Können wir uns heute Abend treffen? Ich ruf an.«
    »Na klar. Ich hab schon so darauf gewartet, dass du nach Hause kommst.« Maria fühlte ihre Wangen glühen. Das anhaltende Unruhegefühl war während des Gesprächs stärker geworden. Sie musste auf die Wache und sich Patriks Dienstplan für den 21. und 22. Dezember ansehen. Warum setzte er seinen guten Ruf mit so billigen Lügen aufs Spiel? Er musste sich doch denken, dass sie ihm früher oder später auf die Schliche kommen würde. Was hatte er sich von dem Abend zu zweit versprochen? Informationen über den Mord an Dick Wallström? Was die Polizei in Kronköping wusste oder nicht wusste? Hatte er sich vorgestellt, dass sie nach einigen Gläsern Wein gesprächiger würde, unbedacht Geheimnisse preisgeben würde? Oder ging es um ganz andere Dinge? Ein neuer Anlauf, wieder zueinander zu finden, wieder ein Paar zu werden? Ein starker Widerwillen machte sich in ihr breit. Maria steckte sich eine Zigarette an. Nur dieses eine Paket. Das war das Letzte. Danach würde sie endgültig aufhören. Vielleicht ging es ja nur um Rache. Rache! Wie würde ein Gemeinwesen aussehen, in dem jedermann verpflichtet war, die seiner Familie angetane Schmach zu rächen? Das wäre eine Art Mafiagesellschaft, in der die Frauen ein Kind nach dem anderen gebären müssten wie hochprämierte Legehennen. Die größte Familie siegt! Oder die Mitbürgergarde, in der sich Nachbarn und Freunde zusammenfinden, um das Recht durchzusetzen. Sind wir auf dem Weg dorthin, wenn das Rechtswesen den Einzelnen nicht mehr zu schützen in der Lage ist, wenn der lange Arm des Gesetzes Stück für Stück amputiert wird? Rache! Ein Racheengel in unserer Zeit, der diejenigen bestraft, die ihre Eide brechen? Das hörte sich ganz so an, als wären Politiker eine Risikogruppe. Besonders wenn es sich um eine ganze Schar von Engeln handelte. Maria drückte verschämt ihre Zigarette aus. Sie überlegte, was Emil dazu sagen würde, wenn er erfuhr, dass sie rauchte. Er konnte mehr als alle anderen den Wächter der Moral spielen. Rache! Die Frage war nur, ob Patrik sich wirklich rächen wollte. Das Zeug dazu hatte er. Daran zweifelte sie nicht.
    Maria parkte ihren Wagen einen Block vomPolizeigebäude entfernt und ging den Fußweg zwischen den Schrebergärten und dem Wohngebiet entlang. Ein eisiger Wind biss in ihre Ohrläppchen und Wangen. Die Lederhandschuhe waren viel zu dünn und zu eng. Die raue Feuchtigkeit fand ihren Weg unter die Jacke. Maria fror sowohl wegen der Kälte als auch durch die Anspannung. Die Schrebergärten lagen im Winterschlaf. Eine dicke Schneeschicht bedeckte Obstbäume und Hecken. Keine Fußspur in dem frisch gefallenen Schnee. Es war wie in Dornröschens hundertjährigem schlafendem

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