Und die Goetter schweigen
Schöne Vorstellung, Karin hierher einzuladen und mit ihr lange Spaziergänge am Strand zu unternehmen. Mama und Papa könnten längere Zeit hier bei ihnen wohnen, wo sie doch jetzt in Pension gegangen waren. Die Diele würde mit einer helleren Tapete zur Wirkung kommen. Träumend ließ sich Maria wieder am Kachelofen nieder. Emil stand am Verandafenster und hauchte gegen die Scheibe, bis sie beschlug. Unten am Strand ging ein Mann mit seinem Schäferhund spazieren. »Wenn wir das Haus gekauft haben, ist es dann ganz unseres?«
»Ja«, antwortete Maria von weit her. Ihm zu erklären, dass das Haus den Banken gehörte, war viel zu kompliziert. Das hätte eine Menge Fragen zur Folge gehabt, und dazu hatte sie jetzt keine Lust. In Gedanken tapezierte sie das Schlafzimmer, und es war schwer, sich davon loszureißen. Blau oder grün? »Dann darf der Hund aber hier nicht mehr seine Reviermarken setzen, denn dann ist es unser Garten, oder nicht?«
»Mmm.«
»Ich mag keine Hunde. Die können beißen! Berit ist gebissen worden. Warum hat der Hund Berit in die Hand gebissen? Sie hat gesagt, dass sie ihn nicht mal geärgert hat. Das ist nicht schön, finde ich. Sie hat den Hund doch nicht geärgert, Mama, das hat sie doch nicht? Für den Hund war das doch eklig mit Blut im Maul, ist doch so, oder nicht?« Maria hörte auf zu träumen, um Emils eifrige Fragen zu beantworten … in die Hand gebissen, das Blut des Mörders am Gebiss des Hundes, das Blut des Mörders! Der Gedanke machte sie schwindeln, unfassbar, unmöglich! Berit, wenn sie nun nicht von Ediths Schäferhund gebissen worden war … Können Hunde HIV-infiziert sein? Tetanusspritze! Berit war dabei gewesen, als der Haustürschlüssel verschwand! Sie waren auf dem Spielplatz herumgekrochen und hatten gemeinsam gesucht. Wenn Berit nun den Schlüssel hatte? Wenn sie nun die ganze Zeit freien Zugang zu Marias Haus gehabt hatte? Das Nachthemd und die Zigaretten, der tote Rabe … Odins Rabe! Wenn es nun doch nicht die Schwiegermutter gewesen war? Woher das plötzliche Interesse an dem Professor? »Mama, warum siehst du so komisch aus, hör auf damit! Ich krieg Angst, wenn du so aussiehst!«
»Wir müssen nach Hause! Jetzt sofort! Wir können nicht auf Papa warten. Wir müssen raus an den großen Weg!« Maria spürte, wie die Unruhe in ihrem Magen wuchs, bis hinauf in den Hals wuchs, die Kehle zusammenschnürte, zerrte. Verflucht! Warum hatte sie nicht nachgedacht, sich beruhigt und nachgedacht, als Sturm herumgetanzt war und vom Blut des Mörders gesungen hatte. Hätte sie nicht eine solche Antipathie Sturm gegenüber empfunden, dann hätte sie die Sache vielleicht anders gesehen. Wenn er nicht herumgetanzt und sich so aufgeführt … Linda! Was hatte Berit mit Linda vor? Maria traten die Tränen in die Augen, sodass sie kaum den Weg vor sich sehen konnte. Wenn sie nur die Ruhe behielt, damit Berit nicht begriff, dass sie erkannt worden war, wenn nur Linda außer Gefahr war, wenn nur Linda in Sicherheit war … »Warte auf mich, Mama, warte auf mich!«, hörte sie Emils kleine, ängstliche Stimme. »Wir müssen ein Auto anhalten, wir müssen nach Hause zu Linda!«
»Warte, Mama! Ich will auch ganz ganz artig sein. Entschuldige, dass ich Omas Kissen kaputtgeschnitten habe. Das wollte ich nicht, die Schere hat einfach geschnitten. Ich wollte sie ja festhalten, aber die hat nur geschnitten und geschnitten.« Maria nahm ihren Sohn auf den Arm und rannte hinauf zum Weg. Die Brust tat ihr weh. Bilder vom blutgetränkten Gehöft, vom Opfer im Wald gingen ihr blitzartig durch den Kopf. Stina Ohlssons zerschnittenes Gesicht, der Kopf zwischen den Vogelfedern. Linda! Einen Augenblick glaubte Maria sich übergeben zu müssen. Sie kamen an den großen Weg. Maria stellte sich mitten auf die Fahrbahn und streckte die Arme in die Luft. Es gelang ihr, eine ältere Frau anzuhalten, die langsam und vorsichtig in ihrem hellblauen VW angefahren kam. »Ich bin von der Polizei, ich muss Ihr Auto leihen.« Emil und die alte Frau sprangen auf den Rücksitz. Emil weinte, und die alte Frau strich ihm über das Haar. »Haben Sie ein Handy?«
»Nein, solche neumodischen Sachen habe ich mir nicht angeschafft«, sagte die elegante Dame in breitem Dialekt. »Ich habe ja eh niemanden, den ich anrufen könnte.« Maria plagte sich mit Selbstvorwürfen. Berit war mit nach Uppsala gekommen. Perfektes Alibi, in einem Polizeiauto mitzufahren. Danach konnte sie unbehelligt zurückkehren und Stina Ohlsson
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