Und die Goetter schweigen
umbringen. Bei ihrem Anruf war sie sicher schon zu Hause. Dass sie daran nicht gedacht hatte. Berit war ja schon zu Hause, als Maria nach ihren Kindern suchte, in der fürchterlichen Nacht, als sie aus Uppsala wiederkam und das Haus leer vorfand. Wie konnte man nur so blind sein! Warum war sie nicht noch einige Minuten im Büro geblieben und hatte gewartet, bis das Phantombild fertig war! Das war jetzt so offensichtlich, nicht zu fassen, dass sie es nicht gleich gesehen hatte. Die Augen – Berits Augen. Verdammt! »Sie fahren so schnell, da kriegt man ja Angst. Wenn Sie die Mutter dieses Jungen sind, sollten Sie ein wenig an seine Zukunft denken«, flüsterte die Dame auf dem Rücksitz vorsichtig. Maria, die gerade einen LKW mit Anhänger überholt hatte, zitterte am ganzen Körper. »Sie haben Recht. Ich bin völlig fertig. Meine kleine Tochter ist in großer Gefahr.« Maria fuhr sich mit der Hand über die Augen, um den Tränenschleier wegzuwischen, wieder klar zu sehen.
30
Die Haustür war nicht abgeschlossen. Maria schlich sich in die Diele, versuchte die Stimme normal klingen zu lassen: »Linda und Berit, wir sind wieder zu Hause.« Die Überkleider waren weg, Lindas Overall! Keine Antwort, nur eine eiskalte Stille als Bestätigung. Die letzte eitle Hoffnung, dass alles nur ein Missverständnis sein könnte, war dahin. Maria wählte Hartmans Nummer, lange Klingelzeichen. »Ist für heute gegangen!« Arvidsson, Gott sei Dank! »Wir kommen sofort. Warte auf uns!« Maria ging zu Emil und der alten Dame im VW, die schweigend und verschreckt hinten sitzen geblieben waren. »Können Sie möglicherweise mit dem Jungen hier im Haus bleiben? Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Na, sicher kann ich das. Wir machen uns einen gemütlichen Nachmittagskaffee, du und ich, nicht wahr, Emil. Du weißt ja, wo ihr Kaffeetassen und so was habt, ich nämlich nicht. Zufällig habe ich einen Safrankranz in meiner Tasche.« Maria lächelte bleich und dankbar. Die alte Frau lächelte freundlich und warm zurück. Die Wettkampfpistole war im Keller eingeschlossen. Verzweifelt suchte Maria nach dem Schlüssel und fand ihn schließlich am Reserveschlüsselbund in der Kaffeemühle. Die Beine bewegten sich nur langsam, viel zu langsam. Die Füße sanken in den verharschten Schnee, als sie über die Schneewehen hetzte, die der Wind auf dem Spielplatz aufgetürmt hatte. Das Tageslicht stach in die Augen. Die Tränen liefen. Linda! Was wollte Berit mit Linda tun? Warum hatte sie das Kind nicht einfach im Haus gelassen? Hatte irgendetwas sie erschreckt? Wusste sie, dass man ihr auf der Spur war? Hatte sie Linda als eine Art Geisel genommen? Herr des Himmels! Linda hatte doch Fieber. Sie sollten doch die Penicillinsorte wechseln. Die Treppe hinauf. Ihr ging die Luft aus. Das Herz hämmerte bis zum Hals, klopfte in den Schläfen, der Kopf wollte beinahe platzen. Linda! Auf dem Türschild stand kein Name. Maria klingelte. Hoffte ein letztes Mal, dass alles ein wahnsinniger Irrtum sei. Keine Reaktion. Ein Auto bremste auf dem Parkplatz, dann noch eins. Arvidssons rote Tolle erschien unten in der Haustür. Maria hämmerte mit den Fäusten gegen die Wohnungstür. Kein Laut war aus Berits Wohnung zu hören, aber auf der anderen Seite der Etage knurrte Ediths Schäferhund. Die Tür ging auf. Eine stumpfe Nase und ein sehr rundes Augenpaar, halb verdeckt von einem Helm aus dauergewellten Löckchen, zeigten sich in der Türöffnung. »Wo ist Berit?«
»Ich glaube, sie ist zu Hause. Sie hatte gerade eben Besuch«, lispelte Edith und wartete gierig mit leicht geöffnetem Mund auf das nächste sensationelle Stück des Gesprächs. Sie hatte natürlich die Autos gehört, hatte rausgeguckt und festgestellt, dass es die Polizei war. Was kann man mehr wünschen, wenn man keinen Fernseher hat. »Gibt es hier jemanden, der einen Hauptschlüssel zu den Wohnungen hat?«
»Fransson, im Erdgeschoss, der den Schnee fegt, der hat den Schlüsselbund. Als Johansson über uns sich im letzten Sommer ausgeschlossen hat … er hatte Krach mit seiner Frau, da war was mit einem aus Stockholm, glaube ich …« Enttäuscht sah Edith zu, wie ihr aufmerksames Publikum die Treppe hinunterraste und an der Tür klingelte, an der mit zierlichen Buchstaben der Name Fransson stand.
Sie gingen hinein. Die Wohnung lag in gedämpftem Licht. Es roch nach Zigarettenrauch. Arvidsson sah sie zuerst, die schwarze Lederjacke, die in der Diele hing. Er hob den Aufschlag hoch und stellte fest, dass in
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