und die große Versoehnung
spazierte. Eine Woge Traurigkeit erfasste Verena.
Grandma sieht so allein aus, dachte sie.
Doch ihr Mitleid verwandelte sich rasch in Wut. Es ist kein Wunder, wenn sie sich allein fühlt, dachte sie. Grandma ist selbst daran schuld. Sie ist grausam und böse …
Aber warum wandert sie im Garten umher? Irgendetwas an ihr ist anders als sonst.
Verena wandte sich vom Fenster ab, um sich in ihrem Zimmer umzusehen. Ich habe es satt, hier rumzuhängen, dachte sie. Ich will zu den Cantrips – aber die haben gerade ihre große Aussprache, und ich kann deswegen nicht zu ihnen gehen.
Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Vielleicht sollte ich mit Grandma reden?
Sie drehte sich wieder zum Fenster. Glenda stand unter einem Baum und sah zu Boden. Die Schneeflocken fielen immer dichter von einem wolkenverhangenen grauen Himmel.
Sie sieht ganz schön einsam aus, dachte Verena.
Sie verließ ihr Zimmer und ging ins Erdgeschoss hinunter. In der Küche angekommen, stellte sie den Wasserkocher an. Als Glenda zurück ins Haus kam, warteten eine Kanne frisch aufgebrühten Kaffees und ein Teller mit Plätzchen auf sie.
»Ich habe uns einen Kaffee gemacht«, sagte Verena, die das Tablett mit Kanne, Plätzchen und Kaffeetassen in der Hand hielt.
Glenda sah ihre Enkelin verblüfft an. »Das ist sehr nett von dir«, sagte sie und legte Mantel und Hut ab.
Zusammen gingen sie ins Wohnzimmer, wo Glenda sich auf das Sofa setzte und Verena in den Lehnsessel, der daneben stand. Verena schenkte den Kaffee ein und reichte ihrer Großmutter eine Tasse.
Glendas Gesicht sah grau und erschöpft aus.
»Du siehst müde aus, Grandma«, sagte Verena.
Glenda nickte. »Ja«, sagte sie leise. »Mir geht eine Menge durch den Kopf und … ich spüre langsam mein Alter.«
Verena nahm nachdenklich einen Schluck von ihrem Kaffee, den sie mit viel Milch verdünnt hatte. Sie überlegte, ob sie ihrer Großmutter von den Cantrips erzählen sollte. Normalerweise versetzte allein die Erwähnung der Familie Glenda in Rage. Doch irgendetwas verriet Verena, dass es an der Zeit war, offen miteinander zu sein. Keine Geheimnisse mehr, dachte sie. »Ich habe heute Morgen eine SMS von Flame bekommen.«
Glenda sah sie fragend an. »Ach ja?«
Erleichtert über diese Reaktion, fuhr Verena fort: »Ja, es scheint, als hätten Colin und Ottalie herausgefunden, dass ihre Töchter magische Kräfte haben.«
»Was?!«
»Anscheinend ist Ottalie deswegen vollkommen außer sich und hat den Mädchen verboten, jemals wieder Magie anzuwenden.«
Glenda hob eine Augenbraue. »Oje«, sagte sie.
»Ja, oje.«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sah Verena ihre Großmutter an und sagte: »Ich frage mich, was Daddy und Mummy tun würden, wenn sie wüssten, dass wir magische Kräfte haben.«
Zur Abwechslung blickten Glendas kalte blaue Augen einmal unsicher. Sie schüttelte den Kopf. »Mein ganzes Leben habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was die Leute von mir dachten. Ich habe einfach getan, was ich wollte, wann ich es wollte, und alles fand sich. Jetzt jedoch …«
Verena wartete, aber Glenda schwieg.
»Was hat sich geändert?«, wollte Verena wissen. Sie sah ihre Großmutter neugierig an.
Glenda seufzte. »Ich denke, mir ist klargeworden, dass ich Gefühle habe.«
»Gefühle?«, fragte Verena mit gerunzelter Stirn.
»Hm.« Glenda nickte.
»Wie jetzt – meinst du damit, die Menschen sind dir nicht länger egal?«
»Hm«, machte Glenda wieder und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. »Und ich fühle mich auf einmal sehr allein.«
»Na ja, ich nehme an, wenn man kein netter Mensch ist, wollen die Leute nichts mit einem zu tun haben, und dann ist man eben allein«, sagte Verena.
Glenda sah ihre Enkeltochter skeptisch an und zog eine Augenbraue hoch.
»Aber es stimmt«, sagte Verena. »Wir alle umgeben uns mit Menschen, die wir lieben und denen wir vertrauen, und du bist nicht sehr nett zu den Menschen gewesen.«
Glenda wirkte nachdenklich.
Eine Weile tranken sie schweigend ihren Kaffee und aßen ein paar Plätzchen.
Dann sagte Verena: »Ich habe das Gefühl, die Dinge sind dabei, sich zu ändern.«
Glenda seufzte. »Ich glaube, das haben sie bereits.«
»Aber das ist doch gut, oder?«, fragte Verena.
Glenda sah nicht allzu glücklich aus. »Ich schätze, das hängt davon ab, in welche Richtung sich die Dinge verändern.«
Verena sah ihre Großmutter abwartend an. Schließlich sagte sie: »Nun, du weißt, wo du anfangen musst, Grandma.«
Der Blick
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