Und die Großen lässt man laufen
Der Hof lag um diese Tageszeit tief im Schatten. Mänsson saß in Hemdsärmeln am Schreibtisch und trank Bier, während er in einem Stapel von Papieren blätterte.
Nachdem sie sich begrüßt hatten und Martin Beck sein Jackett über eine Stuhllehne gehängt, es sich im Besuchersessel bequem gemacht und eine Florida angesteckt hatte, reichte Mänsson ihm die Papiere.
»Zunächst kannst du dir ja mal diesen Bericht ansehen. Du wirst sehen, daß die Geschichte von Anfang an miserabel gehandhabt worden ist.« Martin Beck las die Papiere sorgfältig durch und richtete von Zeit zu Zeit eine Frage an Mänsson, der den Bericht um Details ergänzte, die nicht vermerkt waren. Mänsson gab auch eine von Rönn etwas frisierte Version des Einsatzes von Kristiansson und Kvant am Karolinska vagen wieder. Gunvald Larsson hatte sich geweigert, sich mit dieser Affäre weiter zu befassen.
Als Martin Beck zu Ende gelesen hatte, legte er die Kopien des Berichts vor sich auf den Tisch und sagte: »Wir müssen uns zunächst offensichtlich darauf konzentrieren, die Zeugen eingehend zu vernehmen. Dieser Bericht sieht nicht gerade vielversprechend aus. Was soll übrigens diese merkwürdige Aufstellung?« Er zog ein Blatt aus dem Stapel heraus und las vor: ›»Die Abweichung verschiedener am Tatort befindlicher Uhren von der genauen Zeit..
.‹ Hat das irgend etwas zu bedeuten?« Mänsson zuckte die Achseln. »Das stammt von Backlund«, sagte er. »Du kennst doch Backlund?«
»Ach so, der. Ich verstehe«, sagte Martin Beck. Er hatte Backlund kennengelernt. Einmal. Vor mehreren Jahren. Das genügte.
Ein Wagen fuhr auf den Hof und hielt unterhalb des Fensters. Man hörte, wie Wagentüren zugeschlagen wurden, laufende Schritte und laute Stimmen, die etwas auf deutsch riefen. Mänsson stand behäbig auf und sah hinaus.
»Die haben offenbar wieder eine kleine Razzia auf dem Gustav Adolfstorg gemacht«, sagte er. »Oder unten bei den Schiffen. Da unten haben wir die Überwachung verschärft, aber meistens erwischen wir nur Jugendliche, die etwas Hasch für den Eigenbedarf bei sich haben. Die großen Mengen und die wirklich gefährlichen Dealer erwischen wir nur selten.«
»Bei uns ist das genauso.«
Mänsson schloß das Fenster und setzte sich wieder. »Wie geht es Skacke?« fragte Martin Beck.
»Gut«, erwiderte Mänsson. »Er ist ein ehrgeiziger Knabe. Sitzt abends zu Hause und büffelt. Bei der Arbeit ist er auch recht tüchtig, sehr sorgfältig. Er macht nichts Übereiltes. Er hat damals eine Lektion bekommen und paßt heute besser auf. Er war übrigens sehr erleichtert, daß du gekommen bist und nicht Kollberg.«
Vor weniger als einem Jahr war Benny Skacke die mehr oder weniger direkte Ursache dafür gewesen, daß Kollberg einen Messerstich in den Bauch bekam, und zwar von einem Mann, den sie beide auf dem Flughafen von Arlanda verhaften sollten.
»Wie ich höre, ist er auch eine willkommene Verstärkung für die Fußballmannschaft«, fuhr Mänsson fort.
»Aha«, sagte Martin Beck ohne Begeisterung. »Womit beschäftigt er sich denn im Augenblick?«
»Er versucht diesen Mann aufzutreiben, der einige Tische von der Palmgrenschen Gesellschaft entfernt allein zu Abend gegessen hat. Er heißt Edvardsson und ist Korrektor bei Arbetet. Am Mittwoch war er zu blau, um verhört werden zu können, und gestern konnten wir ihn nicht erreichen. Er lag sicher mit einem Kater im Bett und zog es vor, nicht zu öffnen.«
»Wenn er betrunken war, als Palmgren erschossen wurde, dürfte er kein sonderlich brauchbarer Zeuge sein«, bemerkte Martin Beck.
»Wann können wir übrigens Palmgrens Frau hören?«
Mänsson nahm einen Schluck Bier und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Heute nachmittag, hoffe ich. Oder morgen.
Willst du sie übernehmen?«
»Das machst du vielleicht besser selbst. Du wirst auch Palmgren besser gekannt haben als ich.«
»Das glaube ich zwar nicht«, sagte Mänsson, »aber okay, du bist derjenige, der jetzt zu sagen hat. Du kannst ja mit Edvardsson sprechen, falls Skacke ihn zu fassen kriegt. Ich habe nämlich das dunkle Gefühl, daß er bislang trotz allem der wichtigste Zeuge ist. Übrigens, willst du ein Bier? Es ist leider nur lauwarm.«
Martin Beck schüttelte den Kopf. Er hatte zwar unglaublichen Durst, aber lauwarmes Bier war nicht das, wovon er jetzt träumte. »Komm lieber mit in die Kantine und trink ein Mineralwasser«, schlug er vor.
Sie tranken ihr Ramlösa-Wasser im Stehen am Tresen und kehrten
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