Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
Vom Netzwerk:
Weile still. Dann sagte die Witwe affektiert und lüstern: »Sag mal, willst du nicht diese alberne Hose ausziehen?«
    Was Linder auf diese Frage antwortete, sollte Mänsson nie erfahren, da er in diesem Augenblick seinen Platz im Pfingstrosenbeet räumte. Schnell und leise ging er den gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen war, zog das Gartentor hinter sich zu und setzte seinen Weg an der Hecke entlang fort, bis er zwei Straßenecken weiter wieder vor dem grünen Kupfertor stand Ohne einen Augenblick zu zögern, drückte er auf den Klingelknopf. Irgendwo in der Ferne ertönte eine Art Glockenspiel. Es dauerte nicht länger als höchstens eine Minute, bis leichte Schritte sich näherten. Das Guckloch wurde geöffnet, und ein helles grünblaues Auge starrte ihn an. Mänsson sah auch eine blonde Haarlocke und eine Reihe übertrieben langer, technisch vollendeter Augenwimpern.
    Mänsson hatte seine Kennkarte aus der Tasche gezogen und hielt sie vor die Öffnung. »Ich bedaure, Sie stören zu müssen«, sagte er.
    »Mein Name ist Mänsson, Kriminalinspektor.«
    »Ach«, sagte sie kindisch. »Natürlich. Die Polizei. Können Sie ein paar Minuten warten?«
    »Aber sicher. Komme ich ungelegen?«
    »Wie? Nein, durchaus nicht.
    Ich brauche nur ein paar Minuten, um…«
    Eine geeignete Fortsetzung fiel ihr offensichtlich nicht ein, denn die Luke wurde zugeknallt, und dann entfernten sich die leichten Schritte schneller, als sie gekommen waren.
    Mänsson sah auf seine Armbanduhr. Es dauerte tatsächlich nicht mehr als dreieinhalb Minuten, bis Charlotte Palmgren zurückkam und das Tor aufmachte. Sie trug silberfarbene Sandaletten und ein hochgeschlossenes graues Kleid aus einem leichten Material.
    Sie hat bestimmt keine Zeit gehabt, sich etwas darunter anzuziehen, dachte Mänsson, aber das ist auch gar nicht nötig. Sie hat weder etwas zu zeigen noch etwas zu verbergen.
    »Bitte, treten Sie ein«, sagte Charlotte Palmgren. »Es tut mir leid, daß Sie warten mußten.« Sie schloß das Tor ab und ging vor ihm auf das Haus zu. Die Witwe war offensichtlich nicht die einzige, die sich schnell anziehen konnte: Draußen auf der Straße wurde ein Wagen angelassen.
    Mänsson hatte jetzt zum erstenmal Gelegenheit, die Villa insgesamt zu sehen, und starrte sie verblüfft an. Es war eigentlich keine Villa, sondern eher ein kleines Schloß mit Türmchen und Zinnen und eigenartigen Vorsprüngen. Alles deutete auf schweren Größenwahn des ursprünglichen Erbauers hin. Der Architekt schien nach Postkartenvorlagen gearbeitet zu haben. Spätere Modernisierungsarbeiten mit angebauten Glasveranden und Terrassen machten den Gesamteindruck nicht besser. Der Kasten sah einfach beschissen aus, und Mänsson wußte nicht, ob er lachen oder weinen oder ein Abbruchunternehmen benachrichtigen sollte, um die ganze Herrlichkeit in die Luft sprengen zu lassen. Das Bauwerk schien ungeheuer solide zu sein, und Dynamit wäre vermutlich das einzige, was der Scheußlichkeit ein Ende bereiten könnte. Links und rechts von der Auffahrt standen einige abscheuliche Skulpturen des Typs, der im kaiserlichen Deutschland beliebt gewesen war »Ja, es ist ein schöner Besitz«, sagte Charlotte Palmgren. »Es war auch gar nicht billig, ihn modernisieren zu lassen. Jetzt ist alles tipptopp.«
    Mänsson gelang es, den Blick von dem schauderhaften Kasten loszureißen. Er machte sich daran, die Umgebung in Augenschein zu nehmen. Der Park war, wie er schon vorhin hatte feststellen können, erstklassig gepflegt. Die Frau folgte seinen Blicken und sagte: »Unser Gärtner kommt dreimal in der Woche.«
    »Aha«, sagte Mänsson.
    »Wollen Sie reinkommen oder lieber draußen sitzen?«
    »Spielt keine Rolle«, sagte Mänsson. Von Mats Linder war keine Spur zurückgeblieben, sogar die Gläser waren weggeräumt, aber auf einem Sideboard im Wintergarten stand noch ein Syphon, einige Flaschen und ein Eisbehälter.
    »Mein Schwiegervater hat dieses Haus gekauft«, berichtete Charlotte Palmgren. »Er starb aber schon vor vielen Jahren, lange bevor Viktor und ich uns kennenlernten.«
    »Wo haben Sie sich kennengelernt?« fragte Mänsson ganz unmotiviert. »In Nizza, vor sechs Jahren«, antwortete sie. »Ich war damals mit einer Modefirma unten.« Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Wir sollten vielleicht lieber hineingehen.«
    »Gern«, sagte Mänsson.
    »Etwas Besonderes kann ich Ihnen leider nicht anbieten, aber natürlich einen Drink, wenn Sie mögen.«
    »Danke, meinetwegen

Weitere Kostenlose Bücher