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Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
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Beck.
    Das Mädchen sah sie leicht verächtlich und ein wenig abweisend an. Dann piekte sie mit einem langen und spitzen Fingernagel auf das vor ihr liegende Kalenderblatt und sagte in dem breitesten Schönen-Dialekt, der sich denken läßt: »Sie sind sicher von der Polizei, wie ich mir vorstellen kann.« Sie warf einen Blick auf ihre winzige Armbanduhr und fuhr fort: »Sie kommen fast zehn Minuten zu früh. Herr Linder führt gerade ein Telefongespräch.«
    Herr Linder, dachte Martin Beck. Das hieß, daß Mats Linder schon die Position erklommen hatte, in der Titel überflüssig sind und eher eine Belastung darstellen.
    »Er spricht mit Johannesburg«, sagte sie. »Sie können sich ja so lange hinsetzen. Sobald das Gespräch beendet ist, werde ich Sie melden. Sie sind die Herren Mänsson und Back, nicht wahr?«
    »Beck.«
    »Ach so«, sagte sie gleichgültig. Sie nahm den vergoldeten Füller und kritzelte gelangweilt ein Strichmännchen auf das Kalenderblatt. Dann musterte sie die beiden Beamten noch einmal mit unverhohlener Abneigung und machte eine vage Handbewegung zum Tisch mit den Rosen, den Kristallaschenbechern und den Rauchwaren hin. »Bitte sehr, rauchen Sie, wenn Sie mögen.« Etwa so, wie ein Zahnarzt sagt: »Bitte spülen.«
    Martin Beck fühlte sich ungemütlich in dieser Umgebung. Er warf einen Blick auf Mänsson, der ein zerknittertes Hemd trug, das über die Hose hing, ungebügelte graue Hosen und Sandalen. Er selbst war nicht viel eleganter, obwohl er nachts die Hosen immer unter die Matratze legte. Auf Mänsson dagegen schien die Umgebung nicht den geringsten Eindruck zu machen. Er ließ sich in einen der Sessel fallen, holte einen Zahnstocher aus der Brusttasche seines Hemdes und blätterte etwa dreißig Sekunden lang in einer Nummer von Veckans affärer, ehe er die Achseln zuckte und das Heft auf den Tisch warf. Martin Beck nahm ebenfalls Platz und studierte sorgfältig die Auswahl teurer Rauchwaren in dem aufgeklappten Teakholzkästchen. Dann holte er eine seiner eigenen Florida aus der Tasche, kniff das Pappmundstück zusammen und zündete sie mit einem Streichholz an.
    Er sah sich um. Das Mädchen war wieder dazu übergegangen, seine Fingernägel zu bewundern. Es war völlig still im Raum. Irgend etwas irritierte ihn maßlos. Nach kurzer Zeit wurde ihm die Ursache klar: Es waren keine Türen zu sehen. Es gab sie zwar, aber sie verschmolzen so perfekt mit der Tapete, daß man sich tatsächlich anstrengen mußte, sie zu entdecken.
    Die Minuten vergingen. Mänsson kaute geistesabwesend auf seinem Zahnstocher herum. Martin Beck drückte seine Zigarette aus und zündete sich eine neue an. Er stand auf und ging zu einer Längswand, in die ein großes Aquarium mit grünlich schimmerndem Wasser eingelassen war. Er beobachtete die farbenprächtigen Fische, bis ein leichtes Surren in der Gegensprechanlage seinem weiteren Vorhaben ein Ende machte.
    »Herr Linder läßt jetzt bitten«, sagte die Empfangsdame.
    Im gleichen Augenblick wurde eine der gut getarnten Türen geöffnet, und eine dunkelhaarige Frau von etwa fünfunddreißig Jahren bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, hereinzukommen. Ihre Bewegungen waren schnell und präzise, und ihr Blick war fest. Die typische Chefsekretärin, dachte Martin Beck. Vermutlich war sie diejenige, die hier die Arbeit machte, sofern es in diesen Wänden überhaupt wirkliche Arbeit gab. Mänsson erhob sich und ging schwer und behäbig vor Beck durch ein kleineres Zimmer mit Schreibtisch, elektrischer Schreibmaschine, Aktenschrank und zahlreichen Ordnern, die in Regalwänden aufgereiht standen.
    Die dunkelhaarige Sekretärin öffnete eine weitere Tür und hielt sie auf, noch immer, ohne ein Wort zu sagen. Sie traten ein, wobei sich in Martin Beck das Gefühl verstärkte, groß und tolpatschig und ungehobelt zu sein und überhaupt nicht in dieses Milieu zu passen.
    Während Mänsson direkt auf den Schreibtisch zuging, hinter dem Mats Linder sich gerade mit einem traurigen, aber dennoch freundlichen und höflich zuvorkommenden Lächeln erhob, studierte Martin Beck nacheinander drei verschiedene Objekte in dieser Reihenfolge: die Aussicht, die Einrichtung und die Person, deretwegen sie hergekommen waren.
    Er hatte eine sehr rasche Auffassungsgabe, was seiner Meinung nach sein größtes Plus in dem von ihm gewählten Beruf war, und er hatte bereits alles Wesentliche in sich aufgenommen, als Mänsson den Zahnstocher aus dem Mund nahm, ihn in den Messingaschenbecher legte

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