Und die Hölle folgte ihm nach
Gedenksteinen fiel es aus dem Rahmen, auch sah sie, dass der Name nicht eingeschnitzt, sondern in das Holz eingebrannt war, wie man es mit einem heißen Eisen machen konnte. Sie waren schon weitergegangen, und da erst registrierte ihr Gehirn den Namen, den sie gelesen hatte.
Wamba
. Wo hatte sie den schon gehört? Blitzartig ging es ihr auf. Es war der Name, den Bruder Ruadán genannt hatte.
»Der Junge … der kleine Wamba. Er hätte nicht sterben dürfen, bloß weil er die Münzen hatte.«
Das waren die Worte, die er noch am Morgen gesagt hatte. Was für Münzen? Warum die Münzen? Wie war Wamba zu Tode gekommen? Wen konnte sie fragen? Wem konnte sie trauen?
Alle möglichen Fragen gingen ihr durch den Kopf, und als sie in ihrer Kammer im Gästehaus angelangt war, wusste sie nicht, wie sie unter diesen Umständen Schlaf finden sollte. Doch die Erschöpfung übermannte sie, und erst das frühe Morgenlicht weckte sie.
KAPITEL 9
Zur ersten Mahlzeit des Tages begrüßte Abt Servillius sie auffallend freundlich. »Hast du gut geruht, Schwester?«
»Ja, das habe ich.«
»Ausgezeichnet. Gesunder Schlaf ist die beste Medizin für Kümmernisse.« Er schien ungewöhnlich besorgt um sie.
Wie immer kündigten die Gebete und der eine Glockenton das Mahl an, das diesmal in freiwillig auferlegtem Schweigen eingenommen wurde. Selbst Magister Ado und der Ehrwürdige Ionas waren in sich gekehrt. Nach Beendigung des Mahls hielt Abt Servillius sie zurück. Er griff in sein
marsupium,
nahm etwas, das in ein Stück Stoff gewickelt war, heraus und überreichte es ihr.
»Hier hast du, wie versprochen, die Reliquie, die du zu Bruder Ruadáns Abtei mitnehmen sollst, von der aus er seine Pilgerschaft zu uns unternahm. Möge sie als Zeichen der Zuneigung gelten, die wir zu ihm empfunden haben.«
Vorsichtig öffnete Fidelma das kleine Bündel. Zum Vorschein kam ein silbernes Kreuz, das Bruder Ruadán an einem Kettchen um den Hals getragen hatte. Von Kindheit an, als er sie unterrichtete, kannte sie es. Tief bewegt umhüllte sie es wieder und steckte es in ihr
marsupium
.
»Die Brüder auf Inis Celtra werden das Kleinod zu schätzen wissen. Hab Dank für diese wohlwollende Geste.«
Großmütig winkte der Abt ab. »Ich vermute, du wirst nun Pläne machen, in deine Heimat zurückzukehren. Der Herbst zieht herauf. Ich an deiner Stelle würde mit einem Aufbruch nicht lange zögern, gewöhnlich wird die Straße zwischen uns und Genua zu der Jahreszeit sehr schlecht. Die Trebbia tritt über die Ufer und macht die Wege unpassierbar.«
Fidelma wollte ihm antworten, doch der Abt hatte offenbar am anderen Ende des Refektoriums jemanden entdeckt, entschuldigte sich und eilte davon. Dafür stand Magister Ado plötzlich neben ihr.
»Ich bin schuld, ich habe dir zugeredet, den Ritt hierher zu unternehmen, und nun ist alles vergebens gewesen«, hörte sie ihn sagen. »Du könntest den Ozean schon halb überquert haben.«
»Mir lag daran, Bruder Ruadán zu besuchen«, berichtigte sie ihn. »Immerhin habe ich mit ihm noch kurz vor seinem Tod sprechen können und kann nun seinen Brüdern auf Inis Celtra berichten, wie ihn Gott zu sich genommen hat, nachdem er dieser Abtei lange gedient hat. Der Abt hat mir ein Erinnerungsstück an ihn anvertraut, das ich ihnen überbringen werde.«
Magister Ado war verlegen. »Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt, sieh es mir nach. Wenn du Hilfe benötigst, um nach Genua zu gelangen, stehe ich dir gern zur Verfügung. Hast du dir schon überlegt, wann du die Reise antreten willst?«
Fidelma wunderte sich, warum ihr plötzlich so viele Leute anboten, ihr behilflich zu sein, die Abtei zu verlassen und nach Genua zurückzukehren: Radoald, Abt Servillius und nun auch Magister Ado.
»Noch habe ich mich nicht festgelegt. Ich hoffe, mir bleibt noch ein wenig Zeit, mich in der Abtei und der Umgebung hier umzuschauen, ehe ich mich auf den Rückweg mache.«
Magister Ado blickte sie erstaunt an. »Warum denn das?« Es klang fast wie eine Drohung.
»Damit ich den Gelehrten in Hibernia berichten kann, warum der heilige Colm Bán gerade diesen Fleck für seine letzten Jahre erwählt hatte«, erwiderte sie leichthin. »Bislang habe ich mir kaum etwas ansehen können. Ich werde abreisen, sobald ich genügend in mir aufgenommen habe, um die vielen Fragen der Gelehrten daheim zu befriedigen, und du, der du selbst ein Gelehrter bist, wirst das gewiss verstehen.«
Sie verließ das
refectorium
und ging auf das Hauptportal der
Weitere Kostenlose Bücher