Und die Hölle folgte ihm nach
wegen des Jungen stellst.«
Fidelma mühte sich um ein vertrauenerweckendes Lächeln. »Wenn du willst, kannst du es Wissbegier nennen. Mich interessieren einfach die näheren Umstände.«
Unaufhörlich schwirrten ihr Bruder Ruadáns Worte durch den Kopf. »Er hätte nicht sterben dürfen, bloß weil er die Münzen gefunden hatte.«
Die
Münzen? Warum nicht
eine
Münze? Sie wurde unsicher. Bruder Ruadán hatte wohl nurgesagt: »Weil er die Münzen hatte«, nicht »weil er die Münzen gefunden hatte.« Vielleicht aber war Bruder Ruadán nicht mehr klar im Kopf gewesen. Selbst wenn sich die Aussagen ein wenig voneinander unterschieden, war das wirklich so wesentlich? Las sie vielleicht zu viel in die einfachen Worte hinein?
Sie bedankte sich bei Bruder Waldipert und ging hinaus ins
herbarium
. Bruder Lonán ließ sich immer noch nicht blicken. und so setzte sie sich in einer stillen Ecke auf eine Holzbank und überdachte, was ihr an Tatsachen bislang bekannt war.
Dass Bruder Ruadán vorsätzlich ermordet wurde, bezweifelte sie keinen Augenblick – man hatte ihn erstickt, höchstwahrscheinlich, um ihn daran zu hindern, ihr noch etwas mitzuteilen. Doch niemand hatte davon gewusst, dass sie ihn am Morgen, bevor er starb, ein zweites Mal besucht hatte. Niemand wusste, dass er die Münzen oder den Jungen erwähnt hatte. Schwester Gisa zufolge wurde der Junge etwa zur selben Zeit umgebracht, als Bruder Ruadán so entsetzlich zusammengeschlagen wurde. Wo war der Zusammenhang? Es musste einen geben. Wenn der Junge wegen der vermeintlich wertvollen Münze sein Leben hatte lassen müssen, dann kam auch der Abt ins Spiel, der sie ja erhalten hatte. Er hatte der Mutter des Jungen einen Gegenwert dafür geboten. Hätte er das getan, wenn er selbst in die Sache verstrickt war? Fidelma wusste nicht einmal, um welche Sache es sich handelte, lediglich, dass Bruder Ruadán von »Üblem und Bösem« gesprochen hatte. Zum Abt konnte sie wohl kaum gehen, um mehr zu erfahren. Was sollte sie ihm sagen? Mit welcher Ausrede sollte sie kommen, ohne zu verraten, was sie von Bruder Ruadán wusste?
Hier waltete ein Geheimnis, bei dem sich alles um den Toddes kleinen Wamba und eine alte Münze drehte. Wie konnte sie es lüften, ohne ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
KAPITEL 10
Was würde ihr Brehon Morann raten, in dessen Hoher Schule sie Rechtswesen studiert hatte?
Befrage alle Zeugen!
Aber wer waren die Zeugen? Wulfoald hatte den Leichnam des Jungen gefunden. Die Münze hatte Abt Servillius erhalten. Sonst noch jemand? Wie hieß doch die Mutter des Jungen? Hawisa? Mit ihr zu reden, könnte sich vielleicht lohnen. Nur brachte das zwei Probleme mit sich. Erstens wusste Fidelma nicht, wo in den Bergen die Frau lebte. Zweitens fehlte ihr jede Kenntnis der Sprache der Langobarden, denn dass die Mutter eines Ziegenhirten Latein sprach, schien höchst unwahrscheinlich. Ohne einen Dolmetscher, dem sie vertrauen konnte, war nichts zu machen.
Sie überdachte die geringen Möglichkeiten, die sich ihr boten. Bruder Eolann war einer der wenigen in der Abtei, mit dem sie sich ohne weiteres hatte verständigen können. Außerdem stammte er aus dem irischen Königreich Muman. Jemanden zu treffen, der aus der eigenen Heimat kam, schuf eine unmittelbare Bindung. Auch konnte man dem
scriptor
einen beschwerlichen Aufstieg auf den Berg zumuten, denn er war jung und in guter körperlicher Verfassung. Kurz entschlossen verließ sie den Kräutergarten und lenkte ihre Schritte zum
scriptorium
. Sie blieb bis zur Eichentür im Turm unbehelligt. Bruder Eolann saß an seinem Pult.
»Kennst du Hawisa, die Mutter des Ziegenhirten Wamba, den man vor einer Woche tot aufgefunden hat?«, fragte sie ohne jede Überleitung.
»Ich habe von ihr gehört«, antwortete er zurückhaltend. »Bruder Waldipert wird dir mehr sagen können als ich. Wamba hat immer die Abtei mit Ziegenmilch versorgt. Ich weiß nur, Hawisa lebt auf halber Höhe des Berges hinter uns.«
»Mit Bruder Waldipert habe ich bereits gesprochen, doch ich brauche konkrete Hilfe. Auch liegt mir daran, dass niemand hellhörig wird, wie sehr mich die Sache interessiert.« Fidelma sprach leise, weihte sie ihn doch in ihre Pläne ein. »Ich möchte Hawisa aufsuchen und mit ihr über ihren Sohn reden. Es ist zu befürchten, dass sie nur die hier übliche Sprache beherrscht; ohne Dolmetscher kann ich nichts ausrichten.«
Bruder Eolann war mehr als verwundert. »Schlägst du mir etwa vor, ich soll dich
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