Und die Ratte lacht - Roman
dir mein ganzes Leben lang ein treuer Knecht gewesen, doch jetzt verlasse ich dich und gebe mich der Sünde der Verzweiflung hin. Ich spüre, wie sich die Sünde in mir ausbreitet und bis zum Sonnenaufgang wird sie jede Zelle meines Leibes besetzen. Vergib mir nicht, Vater, ich kann meine Pflicht nicht erfüllen, und ich habe keinen Glauben. Aber vergib diesem Mädchen, das keinen Namen hat, denn es ist die unwissende Quelle meiner Verzweiflung. Nimm sie in deine Arme und gib ihr deinen Segen.
Sie liegt im Schoß der Kirche, reglos wie ein Stein, und ich bete vergeblich, dass Schlaf sich über uns beide senkt. Nur die Hand des Schlafes kann die quälende Erinnerung wegwischen, für kurze Zeit das aufhalten, das man am besten vergessen würde, und den Menschen für einen neuen Tag stärken.
Was für ein neuer Tag erwartet dieses Mädchen, das nichts ist als Nacht?
Du hast mich erwählt. Du hast mir ein Mädchen anvertraut, das die Quelle meiner Verzweiflung ist. Als ich sie zum ersten Mal sah, im Beichtstuhl, fragte ich mich, ob diese Kreatur Teil deiner Schöpfung sei. Vergib mir nicht, Vater, denn ich habe gesündigt. Ich habe an ihrem Menschsein gezweifelt. Ich war gelähmt. Schwarze Mauern schlossen sich um mich und meine Füße zögerten auf der Schwelle. Ich wollte fliehen vor diesem tonlosen Körper und dem Gestank nach Exkrementen, den er verströmte. Ich suchte ein Gebet und fand keines. Ich fand nur einen Schrei, der mich zerriss.
Mein Vater, welche Versuchung hast du mir auferlegt? Ich konnte mich nur wieder und wieder bekreuzigen. Die Bäuerin überfiel mich mit Worten, aber ich konnte sie nicht erfassen. Gegen meinen Willen musste ich einen Blick auf sie werfen. Ein Paar Augen glühten mich durch das Gitter hindurch an. Als stünde ich unter dem Kreuz von Golgatha und betrachtete den verblutenden Menschen zwischen den beiden Dieben.
Hätte ich doch das Gitter zerreißen und zu ihr gelangen können! Heute Abend knie ich hier, aber nicht vor dir, Vater, sondern vor diesem Mädchen. Vergib mir nicht, Vater, denn ich habe mich der Seele verweigert, die in diesem stinkenden Fleisch zitterte.
Ich trug sie auf den Armen zu meiner Schlafkammer, doch auch diese Erschütterung löste keine Stimme in ihr. Fünf oder sechs Jahre ist sie alt. Ausgetrocknet, mit wirren Haaren und mit Lumpen, die an ihrem Körper kleben. Ihr Gesicht kann ich nicht beschreiben.
Ein Mädchen.
Nie habe ich ein Mädchen auf den Armen getragen.
Ich bete darum, sie nicht zu zerbrechen.
Ich sitze in der Dunkelheit und die Worte gehen mir aus. Der eine Mensch wird als Geschöpf des Lichts in deine Welt geboren, doch andere Menschen verdunkeln deine Welt. Das ist es, was ich mein Leben lang gepredigt habe. Ich weiß sogar genau, welches Glied das Mädchen zerrissen hat. Auch mein Körper besitzt ein solches.
Ich weiß nicht, wie ich sie behandeln soll. Es wäre besser …
Nein.
Die Nägel herausziehen und das Blut abwischen.
Was du forderst, geht über meine Kräfte.
Ich versuche, ihr Ruhe zu geben.
Ihr gewichtsloser Körper bebt. Sie wehrt sich mit letzter Kraft. Sie tritt nach mir. Für einen Moment scheint es mir, als nähme ich deinen Sohn vom Kreuz.
Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Wille geschehe, wie im Himmel als auf Erden. Unser täglich Brot gib uns heute, und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.
Tausende Male habe ich dieses Gebet gesprochen, und heute Abend verwandeln sich die Worte in ein sinnloses Gemurmel.
Heute gedenken wir der Schmerzen Mariens. Statt an die Schmerzen der Mutter zu erinnern, vertiefe ich mich in das Leid der Tochter.
Die Bäuerin kämpfte gegen mich, weigerte sich, sie mir zu übergeben. Ein Vermögen, die Quelle eines festen Einkommens. Ihre Stimme troff wie Honig, als sie sagte: Pater Stanislaw, sie wird das Haus Gottes entweihen.
Ich sagte ihr, ich würde bezahlen. Sie sagte, wir werden die Kuh nicht schlachten, die uns Milch gibt. Dann lachte sie und sagte: Bald wird es auf der Welt keine Erinnerung mehr an die Christusmörder geben. Wenn Stefan nicht wäre, hätten wir sie schon lange verraten. Ein guter Junge ist er, Stefan. Er kann etwas Gutes schätzen. Aber jetzt bezahlen die Deutschen viel Geld für einen Juden. Sie haben eine Anzeige im Gemeindehaus aufgehängt. Haben Sie das nicht gesehen, Pater Stanislaw? Man könnte damit das Dach der
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