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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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heute anzugeh'n, durch uns'res Geistes Übermacht selbst Glut zu widersteh'n. Es war sehr feierlich, sag ich dir. Wir standen Hand in Hand um den brennenden Holzhaufen herum und sagten uns immer wieder: Du schaffst es, du schaffst es!«
    »Geistige Übermacht, soso«, murmelte ich und zog an meinem Zigarillo.
    »Es ist eine geistige Frage«, beharrte Willi. »Du musst es nur wollen. Wenn du wirklich über das Feuer gehen willst, schaffst du es.«
    »Und warum hast du es nicht gewollt?«, fragte ich ihn.
    Die Kellnerin brachte zwei neue Tassen Kakao und Willi lächelte sie dankbar an.
    »Ich glaube, ich habe es zu einfach genommen. Ich dachte, ich würde auch so rüberkommen. Es fehlte das entscheidende Quäntchen Konzentration. Bogner erzählte, dass sich vor allem diejenigen die Füße verbrennen, die den Feuerlauf zum zweiten Mal mitmachen. Die denken nämlich, sie hätten es gelernt.«
    »Wer ist Bogner?«
    »Der Typ, der den Feuerlauf geleitet hat. Sieht aus wie ein Versicherungsvertreter, mit Anzug und Schlips. Seine Frau musste auf das Feuer aufpassen, während er uns mental trainiert hat.«
    »Ein Schamane in Schlips und Kragen?«
    »Bogner ist kein Schamane, der ist Geschäftsmann. Pro Nase kostete der Feuerlauf zweihundert Mark. Kein schlechter Stundenlohn, wenn man das mit einem Briefmarkenverkäufer vergleicht. Und ohne Risiko. Wir mussten vorher unterschreiben, dass wir keine Schadenersatzansprüche gegen ihn geltend machen.«
    Wir schlürften unseren Kakao. Es gab so viele erfolgreiche Menschen. Keiner von denen käme auf den Gedanken, sich für 150 Mark pro Tag plus Spesen die Nase einschlagen zu lassen.
     
    Nachmittags fuhr ich nach Nordwalde raus und quatschte ein bisschen mit Hermann Pobradt. Hauptsächlich suchte ich einen Hinweis auf den zweiten Mann im Hausflur, einen alten, längst vergessenen Hausfreund oder so etwas Ähnliches. Da Hermann Pobradt nichts dazu einfiel, bat ich ihn um Fotos von seinem Bruder und seiner Schwägerin.
    Er brachte ein speckiges Fotoalbum und ich sah Karl Pobradt in jedem Lebensalter. Er schien ein ziemlich braver Junge gewesen zu sein, jedenfalls war in seinem Gesicht keine Spur von Aufsässigkeit zu entdecken. Auch später noch, als Unternehmer und im Dreiteiler, sah er frisch und unbedarft aus. Aus seinen wässrig-blauen Augen strahlte jene Beschränktheit, die ländlichen Menschen oft bis ins hohe Alter zu eigen ist.
    Die erste Frau, die in dem Album auftauchte, stand im Hochzeitskleid neben Karl vor der Kirche. Neben auffälliger Schönheit vermittelte Wilma den Eindruck, dass sie über erheblich mehr Lebenserfahrung als ihr Mann verfügte.
    Weitere Erkenntnisse bekam ich nicht. Ich fühlte mich wie ein Archäologe, der tief in der Erde buddelt, um eine Scherbe aus vorchristlicher Zeit zu finden, auf die die Götter in weiser Voraussicht den Namen des Mörders geschrieben haben.
    Um den Plan für meine Ausgrabungen zu vervollständigen, verabredete ich mich mit Karlheinz Höker im Roten Kamel.
     
    Zu dieser frühen Abendstunde war es im Roten Kamel ausgesprochen ruhig. Als die Kneipe noch nicht alternativ angehaucht war und auf einen weniger ausgefallenen Namen hörte, hatte sie als Treffpunkt der münsterschen Sozialdemokraten gedient. Damals, in der Weimarer Republik und in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, befanden sich die SPD-Zentrale und das DGB-Haus in unmittelbarer Nähe. Aus Traditionsbewusstsein, dem kein Zeitgeist etwas anhaben konnte, tranken noch immer einige Sozis hier ihr Bier. Darunter Karlheinz Höker, der inzwischen fett und satt gewordene ehemalige Juso-Chef. Seit acht Jahren saß er im Stadtrat, wo er sich den Vorsitz des Planungsausschusses erkämpft hatte und sich seither für jeden frei gewordenen Stadtdirektorposten in Städten mit SPD-Mehrheit bewarb. Bislang erfolglos. Ich kannte Höker aus unseren gemeinsamen Juso-Tagen.
    Schnaufend ließ er sich auf den Stuhl fallen und wischte sich das schweißglänzende Gesicht. »Furchtbar warm heute«, stöhnte er. »Wartest du schon lange?«
    Er bestellte ein großes Bier und Köfte. Ungefähr die Hälfte aller münsterschen Kneipen hat türkische Küche.
    »Ich habe nicht viel Zeit«, eröffnete mir Höker, »um acht Uhr ist Ortsvorstand. Da darf ich als Vorsitzender nicht fehlen.«
    »Macht dir das noch Spaß, von einem Termin zum nächsten zu hetzen?«
    »Nur durch Kleinarbeit kann man den Bürger gewinnen.«
    »Das neue Gestell auf dem Kinderspielplatz, die kranke Silberlinde an der

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