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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Tarnnetz und reichlich Fichtenzweigen bedecken müssen. Also fuhr ich weiter, bis ich nach einem halben Kilometer auf einen kleinen Parkplatz stieß, der für Sonntagsausflügler gedacht war, die einmal einen kranken Wald aus nächster Nähe betrachten wollten.
    Mit einem Fernglas bewaffnet nahm ich am Waldrand Aufstellung. Die Sicht war gar nicht so schlecht und ich zählte die Lastwagen, die auf dem Areal standen. Es waren elf. Weiter hatte ich vorläufig nichts zu tun. Ich steckte einen Zigarillo an und betrachtete meine leicht zittrige Hand. Es war verflucht kalt an diesem Morgen. Und viel zu früh.
    Nach einer halben Stunde kamen die ersten Arbeiter. Ich hielt nach einem Mann Ausschau, der für meine Zwecke geeignet schien. Er musste mindestens fünfzig Jahre alt sein und einen Lastwagen fahren.
    Die Angekommenen verschwanden zunächst in einer Baracke. Umgekleidet tauchten sie kurze Zeit später wieder auf und schlenderten zu den Lastwagen hinüber. Keiner entsprach meinen Altersvorstellungen.
    Dann kamen ein paar ältere Männer, die jedoch zu einem anderen Gebäude, offensichtlich der Verwaltung, gingen. Inzwischen waren nur noch drei Laster übrig. Ich fürchtete bereits, dass ich etliche Tiefschlafstunden vergeblich geopfert hatte, als ich meinen Mann sah. Er hatte grau melierte Schläfen an einem ansonsten kahlen Schädel. Unter dem rötlichbraunen Rollkragenpullover versteckte er einen Medizinball, der ihn beim Gehen behinderte. Mühsam kletterte er in sein Fahrzeug und rollte sich hinter das Steuer. Das war das Letzte, was ich sah, bevor ich zu meinem Auto sprintete.
    Einen Lastwagen zu verfolgen, ist eine vergleichsweise simple Tätigkeit. Wenn man in Kauf nimmt, an Ampeln gelegentlich als Rotsünder aufzutreten, kann er einem praktisch nicht entwischen. Mit dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung im Kopf folgte ich meinem Mann quer durch die halbe Stadt. Wie sich herausstellte, beteiligte er sich an der Verkehrsberuhigung im Ostviertel. Die Bürger bekamen hier, statt der früheren geraden Straßen, geschlängelte Pfade mit Blumenkübeln und Pflastersteinstreifen, die ein schnelleres Altern der Stoßdämpfer bewirken sollten.
    Mein Mann blieb in seinem Laster sitzen und ließ sich von einem Bagger die Ladefläche mit altem Asphalt vollpacken. Ich nagte an meiner Unterlippe und ab und zu an einem der beiden Käsebrötchen, die ich aus der nahen Bäckerei geholt hatte.
    Dann brachte er den Schutt weg und lud Pflastersteine, die er ins Ostviertel karrte. Das machte er noch zwei Mal, bevor es Mittag wurde.
    Meine Befürchtung, dass er auch in der Fahrerkabine essen würde, erwies sich gottlob als falsch. Auf einer Ausfallstraße hielt er vor einer Imbissstube, die sich extra für Lastwagenfahrer einen großen Parkplatz zugelegt hatte.
    Ich nahm einen Hamburger mit Pommes und setzte mich an seinen Tisch. »Ich habe gesehen, dass Sie aus einem Pobradt-Laster gestiegen sind«, sagte ich. »Ich bin ein entfernter Verwandter der Pobradts, genauer gesagt vom alten Chef. Seit dem Unglück damals ist die Familie ja zerstritten.«
    Er ließ für einen Moment sein Schweineschnitzel in Ruhe und guckte mich an.
    »Waren Sie schon dabei, als es passierte?«, fragte ich.
    »Hmm«, sagte er.
    Ich ließ mir meine Freude nicht anmerken. »Eine seltsame Geschichte. Ich weiß noch genau, dass meine Onkel und Tanten fest davon überzeugt waren, dass er sich nicht umgebracht hat. Sie vermuteten, dass ein anderer Mann im Spiel war, konnten aber nichts beweisen.«
    Er griff zu seiner Bierflasche.
    »Ich fand das ziemlich spannend«, fuhr ich fort. »So ähnlich wie ein Krimi im Fernsehen. Ich war ja erst sechzehn. Aber jetzt, wo ich Sie aus dem Laster steigen sah, fiel mir die Geschichte wieder ein. Und ich dachte: Frag ihn doch mal! Vielleicht weiß er irgendetwas.«
    »Was soll ich wissen?«, brummte der Dicke.
    »Wenn sie, ich meine Wilma Pobradt, einen Freund hatte, ist der bestimmt mal in der Firma aufgetaucht. Man merkt doch gleich, wenn zwei was miteinander haben, an der Art, wie sie sich angucken, sich die Hand geben oder in den Mantel helfen.«
    »Oder sich öffentlich abknutschen«, ergänzte er.
    »Es gab ihn also?«, triumphierte ich.
    »Das hab ich nicht gesagt.« Er schob den leer gekratzten Teller weg. Mein Hamburger lag noch beinahe unberührt in einer Mayonnaisepfütze. Sein Gesicht bekam einen verächtlichen Zug, als er sich vorbeugte. »Sie sind ein Schnüffler. Meinen Sie, ich habe nicht gemerkt, dass Sie mir den

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