Und die Toten laesst man ruhen
Keine Schaufensterpuppenschönheit, sondern eine Schönheit, die von der Energie lebte. Endlich zauberte sie ein Lächeln hervor, das bis knapp unter die Augen reichte: »Sie wollen mich also als Mörderin überführen?«
»Sind Sie eine?«
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Nach einer halben Ewigkeit, in der ich drei Mal geatmet hatte, sagte sie: »Nein.«
»Warum haben Sie mich dann kommen lassen?«
Ein rot lackierter Fingernagel fegte eine Locke aus der Stirn. »Ich wollte Sie kennenlernen. Katharina sagt, dass Sie kein schlechter Mensch sind. Ich dachte: Schau ihn dir an! Falls er es wert ist, erzählst du ihm deine Geschichte.«
»Und? Bin ich es wert?« Zu gern hätte ich an dieser Stelle der Unterhaltung einen Zigarillo angezündet. Die nackte Höflichkeit hielt mich davon ab.
»Ich weiß nicht. Vielleicht.«
»Merschmann hat Ihnen sicher nichts Gutes über mich berichtet.«
Sie warf einen schnellen Blick auf Katharina, die neben der Tür stehen geblieben war. »Katharina redet zu viel.«
Ich wedelte mit der Hand. »Ich bestreite nicht, dass Merschmann zum Teil die Wahrheit gesagt hat. Ich habe Fehler gemacht, größere als andere. Aber ich habe dafür meine Strafe kassiert.«
»Sie saßen im Gefängnis.«
»In Untersuchungshaft. Die Polizei konstruierte den Vorwurf der Fluchtgefahr, weil sie mich nicht leiden konnte.«
»Warum konnte die Polizei Sie nicht leiden?«
»Weil ich einen Hauptkommissar hinter Gitter gebracht habe, indem ich bewies, dass er einen Demonstranten fahrlässig getötet hatte.«
Ich gab ihr ein paar Sekunden, um die Geschichte zu verdauen. Dann hakte ich nach. »Ich habe eine lange Fahrt hinter mir und ich bin müde. Wenn Sie mir etwas zu erzählen haben, tun Sie es. Aber vergessen Sie die offizielle Version. Die habe ich schon von der Polizei und Ottokar Runze gehört.«
Meine Ansprache beeindruckte sie nicht. Ihr kritischer Blick tastete mein Gesicht ab. Fast herablassend kamen die Worte: »Und jetzt haben Sie Blut geleckt?«
»Wenn jemand Blut geleckt hat, dann diejenigen, die mich von der Untersuchung abhalten wollen. Meins nämlich.«
»Ach, Sie meinen Uwe. Sie dürfen ihm das nicht übelnehmen.«
»Würden Sie es nicht übelnehmen, wenn Ihnen jemand die Nase gerade rückt und Drohbriefe schickt?«
Bei dem Wort Drohbriefe guckte sie zu Katharina hinüber, die den Kopf schüttelte.
»Ich muss mich für Uwe entschuldigen«, sagte Wilma Pobradt, als ihre Hakennase wieder auf mich zeigte, »aber er hat es nicht für sich getan. Er meint, ich könnte mich nicht selber schützen.«
Mit einer Handbewegung fegte ich den Satz weg. »Geschenkt. Kommen wir zur Sache.«
»Zur Sache, ja. Was wissen Sie von Karl Pobradt?«
»Ich kenne zwei Beschreibungen, die nicht zusammenpassen. In der einen ist er ein gutmütiger alter Knabe, der von einer Frau verführt und zu unmoralischen Taten gedrängt wird. In der anderen ist er ein brutaler Ehemann, der seine Frau schlägt.«
Ihre Hände fuhren suchend über den Rock, bis sie sich ineinander verhakten. »Als ich ihn kennenlernte, lebte ich zusammen mit meinen Eltern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Schöppingen. Er war für mich die Chance herauszukommen, herauszukommen aus der Zwei-Zimmer-Wohnung, aus dem Kaff, wo die Leute hinter vorgehaltener Hand über mich redeten. Ich hatte mich nämlich zu oft mit Männern getroffen, wissen Sie, und in einer Kleinstadt verliert man seinen Ruf schneller, als der Pastor hustet. Eine Dummheit, wie man so schön sagt, war im Spiel, ich musste abtreiben. Und obwohl ich dafür nach Holland gefahren bin, hatte irgend jemand, auf welchem Wege auch immer, davon Wind bekommen. Die alten Damen, die in den Friseurladen kamen, wo ich arbeitete, wollten sich von mir nicht mehr die Haare machen lassen, die Männer fingen an, mich auf offener Straße anzuquatschen. Es war nicht die Hölle, aber es war die erste Stufe des Fegefeuers.
Von Anfang an hielt ich Karl nicht für einen strahlenden Helden. Er war launisch. Er konnte heute großzügig und morgen gemein sein. Über das fromme Getue seiner Mutter und seines Bruders machte er sich lustig. Doch wenn sie dabei waren, spielte er den Erzkatholiken. So ein Schwächling war er.«
»Trotzdem heirateten Sie ihn«, warf ich ein.
»Ja, ich heiratete ihn. Ich habe es mir oft genug vorgeworfen. Aber ich gebe auch zu, dass die Ehe angenehme Seiten hatte. Ich lebte für die damaligen Verhältnisse im Wohlstand, ich lernte, mich auf dem gesellschaftlichen Parkett
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