Und eines Tages kommt das Glück
hätte Angst haben müssen. Als sie wieder ins Bett ging, ließ sie die Schlafzimmertür offen und auf der Treppe ein Licht brennen, mit sich hadernd, dass sie schließlich eine erwachsene Frau sei und es eigentlich nicht nötig habe, ein Licht brennen zu lassen, um ihre Ängste zu bannen. Doch der längliche gelbe Lichtschein hinter der Tür gab ihr ein gutes Gefühl, und jetzt konnte sie wenigstens wieder einschlafen, auch wenn sie sich nicht im Geringsten ausgeruht fühlte, als sie am nächsten Morgen erwachte.
Nach dem Aufstehen stopfte sie einen Teil ihrer Unterwäsche und T-Shirts in die Waschmaschine und verbrachte geschlagene zehn Minuten mit der Lektüre der Gebrauchsanweisung von Veronicas ultramoderner Maschine, bevor sie das beste Waschprogramm herausgefunden hatte. Bei Keith war das viel einfacher gewesen. In seiner uralten Maschine hatten sie alles mit demselben Programm gewaschen. (Natürlich führte das hin und wieder dazu, dass sich weiße Teile plötzlich blau oder rosa oder schlammgrau verfärbten, doch das machte Romy nicht allzu viel aus. Sie trug ohnehin kaum etwas Weißes.) Als die Maschine den Waschgang gestartet hatte, wusste Romy nichts mehr mit sich anzufangen und setzte sich mit einem Becher starken Kaffees an den
Küchentisch, wo sie die Zeitung las und einen Muffin vom Vortag knabberte. Es war befremdlich, nichts zu tun zu haben. In den letzten vier Jahren war jeden Tag etwas anderes gewesen – sie hatte an Ausgrabungen teilgenommen, archäologische Schaubilder erstellt, Information in Computertabellen eingegeben oder ausgewertet … Ihre Tage waren mit Aktivitäten angefüllt gewesen, und auch wenn es manchmal eintönig gewesen war (nur mit einer Pinzette ausgerüstet nach Knochensplittern oder anderem Material zu suchen konnte einem hin und wieder durchaus auf den Geist gehen), so hatte sie doch immer das Gefühl gehabt, etwas Nützliches und Wertvolles zu tun. Und obwohl es natürlich von ihr als Tochter ein äußerst löbliches Unterfangen war, nach Hause zu fliegen und sich um die kranke Mutter zu kümmern, fühlte sie sich momentan nicht sehr nützlich. Wenn Veronica nach der Operation nach Hause kam, würde sich das selbstverständlich ändern. Dann würde sie alle Hände voll zu tun haben, doch genau davor hatte Romy auch am meisten Angst.
Sie trank den Kaffee aus und schluckte den letzten Bissen Muffin hinunter, ehe sie in das angrenzende Arbeitszimmer hinüberging.
Tags zuvor hatte sie nicht viel Zeit hier verbracht, da sie sich auch in diesem Raum wie ein Eindringling vorgekommen war. Zu Zeiten von Dermots und Veronicas Ehe hatte sie sich oft hier aufgehalten. Sie hatte neben dem großen Schreibtisch auf dem Fußboden gesessen und Schularbeiten gemacht, während Dermot auf dem Computer seine Fotos bearbeitete. Sie hatte es geliebt, neben ihm zu arbeiten, beide versunken in ihre Tätigkeit, und keiner hatte reden müssen. Es war ihr Zimmer gewesen, nicht nur seines, und ihr Reich. Romy fragte sich, ob das Zimmer während Larrys Ehe mit Veronica wohl auch dessen Reich gewesen war.
Als Veronica Larry geheiratet hatte, war Romy bereits an der Universität und von zu Hause ausgezogen gewesen, sodass sie für das Arbeitszimmer keinen Bedarf mehr gehabt hatte. Romy war
kaum mehr nach Hause zurückgekommen, nur ein Mal sehr widerwillig an dem Abend, an dem Darragh, Kathryn und sie versucht hatten, Veronica zu überreden, nicht wieder zu heiraten. Kathryn hatte sie unter Druck gesetzt, dass sie unbedingt kommen müsse. Veronica müsse begreifen, dass alle drei Geschwister ihr Vorhaben für eine schlechte Idee hielten. Romy war zwar der Ansicht, dass sie mit Druck bei ihrer Mutter eher genau das Gegenteil erreichten, hatte aber schließlich nachgegeben – und wenn auch nur, um zu verhindern, dass Kathryn und Darragh Dermot als abschreckendes Beispiel hinstellten, wie Veronicas Ehen enden konnten.
»Ich liebe Larry.« Romy erinnerte sich noch recht gut an die aufblitzende Wut in Veronicas Augen, als Kathryn ihr erklärte, dass sie Larry für total unpassend halte. »Und es steht dir wirklich nicht zu, mir zu sagen, wer zu mir passt und wer nicht.« Sie lachte. »Ausgerechnet du! Du hast ja nicht einmal einen Freund. Wahrscheinlich wirst du auch nie einen haben, wenn du so weitermachst.«
»Und was soll das heißen?«, fragte Kathryn.
»Na, schau dich doch mal an, Mädchen!«, rief Veronica. »Du bist vierundzwanzig Jahre alt und könntest umwerfend aussehen, aber du
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