UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
der Zeit hatte sie es geschafft, ins Studienangebot der besten Unis der Welt hineinzuschnuppern – Genetik am Massachusetts Institute of Technology, Architektur des Rokoko an der Universität Mailand, mittelalterliches Recht in Oxford und Chaostheorie in Harvard. Früher hatte sie meistens die zuständigen Professoren einfach angerufen, um an die Lehrveranstaltungsverzeichnisse und Leselisten zu kommen. Mittlerweile war es durch das Internet noch einfacher. Mit ein paar Mausklicks gelangte sie zu allen Seminaren, Übungen und Tests, und die einzigen Kosten, die dabei für sie entstanden, waren die Lehrbücher.
„Du spinnst ja.“ Millie schmunzelte. „Wir bewundern dich wirklich alle.“
„Okay, dann bin ich eben eine gebildete Spinnerin.“
„Stimmt. Wünschst du dir denn nicht manchmal, wirklich in einem Hörsaal zu sitzen?“
Früher einmal war genau das Rosas großer Traum gewesen. Doch dann hatte ihr Leben durch eine unfassbare Tragödie eine völlig andere Wendung genommen. „Klar wünsche ich mir das“, gab sie zu und bemühte sich, unbeschwert zu klingen. „Vielleicht werde ich es auch einmal tun. Irgendwann, wenn ich mehr Zeit habe.“
„Du könntest als ersten Schritt in diese Richtung einen Geschäftsführer für dein Restaurant einstellen.“
„Ich kann mir mein eigenes Gehalt kaum leisten.“ Rosa setzte sich, schlug eines ihrer Bücher auf und begann einen wissenschaftlichen Aufsatz über die Transformationsgrammatik von Noam Chomsky zu lesen.
Linda betrat das Café, ging zur Theke und bestellte ihr übliches Kännchen Tee, einen Lady Grey mit Milch und einer Zitronenscheibe. Sie trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Was ist, wenn’s beim Hokey Pokey wirklich darum geht?“ Als Rosa aufsah und den Spruch las, musste sie lachen. Der Text des fröhlichen Hokey-Pokey-Liedes war ihr bei genauerer Überlegung immer schon eindeutig zweideutig vorgekommen: Du steckst den rechten Arm rein, du steckst den rechten Arm raus, du steckst den rechten Arm rein – und dann schüt telst du ihn aus. Du tanzt den Hokey Pokey, und du drehst dich rundherum, und auf einmal macht es … bumm .
„Tut mir leid, dass ich zu spät komme“, sagte Linda, als sie zu Rosa an den Tisch trat. „Ich habe mit Mom telefoniert, und sie wollte einfach nicht aufhören zu weinen. Vor Rührung.“
„Das ist ja süß.“
„Tja, mag sein. Aber es war irgendwie auch ein bisschen kränkend. Sie war nämlich so über die Maßen … erleichtert. Bestimmt hatte sie Angst, ich würde nie heiraten, was natürlich eine Katastrophe für die Lipschitz-Familie gewesen wäre. Aber so … so hat es sie nicht einmal gestört, dass Jason katholisch ist.“ Sie streckte ihre Hand aus und betrachtete ihren nagelneuen Verlobungsring. „Wenn die Sonne drauffällt, sieht er sogar noch schöner aus, meinst du nicht auch?“
„Er ist toll.“ kommt mit einem Namen auf die Welt, der aus einer Oper von Puccini stammen könnte, Miss Rosina Angelica Capoletti.“ Linda träufelte etwas Honig in ihren Tee. „Oh, und es gibt Neuigkeiten. Die Hochzeit muss im August stattfinden. Jasons Firma hat ihn nach Boise versetzt, und wir ziehen gleich nach dem Labor Day dorthin.“
Rosa lächelte ihre Freundin an. Als Jason ihr kürzlich von der Versetzung erzählt hatte, hätte sie ihn allerdings am liebsten geohrfeigt. „Das heißt, wir haben weniger als zwölf Wochen für die Hochzeitsvorbereitungen“, sagte sie. „Vielleicht hat deine Mom deshalb geweint.“
„Nein, sie ist begeistert. Übrigens fliegt sie nächste Woche wieder nach Florida. Alles wird wunderbar klappen, du wirst sehen.“
Linda wirkte erstaunlich gelassen, dachte Rosa. Vielleicht hatte sie ja noch nicht im ganzen Ausmaß verstanden, was es bedeutete, zu heiraten und Winslow für immer zu verlassen.
Linda nippte an ihrem Tee. „Und wie geht es dir, Miss Rosa? Hast du dich schon von dem gestrigen Schock erholt?“
Rosa war plötzlich sehr damit beschäftigt, ihren Caffè Latte zu zuckern. Dann sah sie auf. „Da gibt es nichts zu erholen.
Alex war im Restaurant, na und? Seiner Familie gehört immer noch das Anwesen an der Ocean Road. Früher oder später wäre er mir also ohnehin über den Weg gelaufen. Mich hat es eher verwundert, dass es so lange gedauert hat, bis es passiert ist. Aber es ist keine große …“
„Du hast gerade fünf Tütchen Zucker in deinen Kaffee gegeben“, unterbrach Linda sie.
„Quatsch …“ Rosa bemerkte die aufgerissenen Tütchen auf dem
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