UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
ihrer Handtasche.
Alex nahm sein Handy vom Nachttisch. „Oder meiner.“ Er sah auf das Display. „Hallo, Dad.“
Rosa zog das Laken hoch und klemmte es sich unter die Achseln. Es gab nichts, was in Situationen wie diesen so fehl am Platz war wie ein Anruf der Eltern.
„Verstehe“, sagte Alex. Sein Gesichtsausdruck war völlig neutral. „Dann vielleicht ein andermal, Dad.“
Idiot, dachte Rosa und wünschte, Alex’Vater hätte die Enttäuschung im Blick seines Sohnes sehen können.
„Ich habe auch nichts von Maddie gehört“, sagte Alex in sein Handy. „Vorige Woche ist eine E-Mail aus Taipeh gekommen. Ich bin mir sicher, dass sie dich anrufen wird, sobald sie irgendwo Handy-Empfang hat … Gut, in Ordnung. Tschüss.“ Er legte das Telefon wieder auf den Nachttisch und seine Arme sofort wieder um Rosa. „Entschuldige wegen des Telefonats. Wir waren zum Abendessen verabredet, aber meinem
Vater ist etwas dazwischengekommen.“
„Deine Schwester ist in Taipeh?“
„Sie war. Ich glaube, sie ist jetzt in der Mongolei. Sie hat beschlossen, ihren Kindern den Fernen Osten zu zeigen. Das ist ihre Art, mit der Tragödie fertig zu werden“, erklärte er. „Typisch Montgomery. Mein Vater würde vermutlich das Gleiche tun, wenn die Firma für ihn nicht eine offenbar noch bessere Ablenkung wäre.“
„Ich wünschte, ihr beide stündet euch näher.“
„Ja? Warum?“
„Es ist ein solcher … Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll. Ein solcher innerer Reichtum, wenn man jemandem nahe ist, ein so starkes Gefühl der Geborgenheit. So habe ich es jedenfalls erlebt.“
„Dann hattest du wirklich Glück. Bei meinem Vater und mir ist es anders. Ich weiß gar nicht, wie ich unsere Beziehung erklären soll, aber dass sie mit einem Gefühl der Geborgenheit verbunden wäre, kann man nicht gerade behaupten.“
„So sollte es aber sein.“
„Ich war für ihn immer eine Enttäuschung. Als ich klein war, hat er sich kaum mit mir beschäftigt, weil ich so oft krank war, und als ich älter wurde, habe ich mich ganz bewusst von ihm distanziert.“
„Und doch arbeitest du in seiner Firma.“ Sie sah ihn an und merkte, wie viel Schmerz und Kummer in seinem Blick lagen. Also musste es mit dieser Beziehung noch etwas anderes als nur beiderseitige Gleichgültigkeit auf sich haben. „Du solltest dein Verhältnis zu ihm in Ordnung bringen, Alex. Ich meine es ernst, denn es ist etwas Wichtiges. Die Dinge sind nicht so negativ, wie du glaubst. Hast du ihn je direkt gefragt, was er von dir hält oder wie er eure Beziehung sieht?“
Er lachte. „Es käme uns beiden nie in den Sinn, über unsere Beziehung zu reden.“
„Und das ist witzig?“
„Es ist einfach etwas, was wir nie tun würden.“
„Tja, ich wette, dass es dich sehr überraschen würde, welche Meinung er tatsächlich über dich hat.“
„Warum macht er dann so ein Geheimnis daraus?“
„Weil er möglicherweise nicht weiß, wie er dir seine Gefühle zeigen soll.“
„Es ist ihm nie schwergefallen, mich seine Missbilligung spüren zu lassen. Das ist auch ein Gefühl.“
„Ich wette, er hält große Stücke auf dich und weiß bloß nicht, wie er es ausdrücken soll.“
Alex lächelte und küsste sie auf die Schläfe. „Du siehst immer das Beste in allen Menschen.“
„Das solltest du auch, vor allem wenn es sich um deinen eigenen Vater handelt. Bezüglich deiner Mutter hattest du auch einen schlimmen Verdacht, der sich letztlich als falsch herausgestellt hat.“ Sie sah ihn an, doch an seinem Gesichtsausdruck konnte sie nicht erkennen, ob sie ihn überzeugt hatte. Aus der Ferne hörte man eine Uhr schlagen, und nach dem neunten Schlag fuhr Rosa hoch und presste das Laken an ihre Brust. „Verdammt!“
„Was ist los?“ Alex setzte sich auf.
„Ich muss gehen.“ Sie sprang aus dem Bett und begann sich anzuziehen. „Ich habe in genau fünf Minuten einen Termin.“
„Och, komm schon. Lass ihn sausen.“
„Unmöglich. Wir haben die letzte Besprechung wegen Lindas Hochzeitsessen. Ihre Schwiegermutter ist extra deshalb angereist.“
„Mein Gott, was gäbe ich dafür, wenn ich dich jetzt irgendwohin entführen könnte.“ Er schlang seine Arme um sie. „Weit, weit weg.“
Rosa kuschelte sich an ihn. Sie fragte sich, ob er eigentlich wusste, dass sieihm überallhin folgen würde. Wennersiefragte, ob sie mit ihm nach New York, London, Hongkong, nach Taipeh oder in die Mongolei gehen würde – sie würde es tun. Sie würde
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