Und ewig seid ihr mein
brauchte er für etwas anderes.
17
E s war kurz nach 20.30 Uhr, als das Aufnahmeprotokoll zur vermissten Person
Eberhard Finger
auf Levys Computer eintraf. Seine Ehefrau Anne, die Levy am Nachmittag noch gesprochen hatte, machte darin weitere Angaben über das Ausbleiben ihres Mannes vor rund zwei Wochen.
Statt nach der Konzertreise sofort in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren, war Eberhard Finger in jener Nacht spurlos verschwunden. Anne Finger konnte keinekonkreten Hinweise darauf geben, ob er nach der anstrengenden Rückreise mit seinen Musikerkollegen unter Umständen noch einen trinken gegangen war. Vermisst worden sei er aber weder von ihr noch von den Musikern. Auf die Frage, ob sie das nicht seltsam gefunden habe, dass ihr Mann rund zwei Wochen verschwunden blieb, gab Anne zu Protokoll, dass ein Ausbleiben ihres Mannes nicht ungewöhnlich war, ja, dass er ihr gar untersagt hätte, nach ihm zu forschen.
Wo er sich in diesen Zeiten aufgehalten hatte, wüsste sie nicht. Nach den vielen Jahren gemeinsamer Ehe kannte man sich so gut, dass man sich auf das Wort des anderen verlassen konnte. Und in der Tat war er bisher auch immer von seinen Reisen nach Hause zurückgekehrt.
Anne Finger beschrieb ihren Mann als gesellig, kontaktfreudig und vor allem treu. Sie liebten einander, ohne Misstrauen an der Gegensätzlichkeit der jeweiligen Lebensführung zu haben.
Auch wenn das für andere Menschen nur schwer nachvollziehbar war, so sei das Band zwischen Anne und Eberhard unzertrennbar.
Levy schüttelte bei so viel Blindheit den Kopf. Auf ihn machte dieser Eberhard eher den Eindruck eines notorischen Frauenhelden, der es geschafft hatte, seiner Anne den gutmütigen und treuen Ehemann vorzugaukeln, während er sich tagelang mit anderen Damen amüsierte.
Noch in der Gruppenbesprechung um siebzehn Uhr hatte die Michaelis festgelegt, dass Naima und Falk am nächsten Tag die Musikerkollegen Fingers nach dessen Lebenswandel, Freunden und Freundinnen befragen würden. Entscheidend sei herauszufinden, wann er wo das letzte Mal gesehen worden war. Wenn man Glück hatte, fände sich ein Zeuge, der Finger mit seiner letzten Begleitung gesehen hatte.
Für heute hatte Levy genug. Die Umstellung von seinem gewohnten Nachtrhythmus auf die helle Tagesarbeit machte ihm zu schaffen. Er fühlte sich hundemüde und schaltete den Computer in Standby. Das letzte Glas für diesen Tag leerte er, wie gewohnt, in einem Zug.
Er ging ins Bad und ließ klares, sauberes Wasser in die Wanne. Seine Kleidung würde er an diesem Abend nicht mehr waschen, weniger, weil sie es nicht verdient hätte, von Lügen und Perversion befreit zu werden, sondern weil ihn das angenehme Drehen der Waschtrommel wahrscheinlich noch vor dem Baden ins Reich der Träume geschickt hätte.
Der Spiegel reflektierte das Bild eines Mannes Mitte fünfzig, wenngleich er noch in den Vierzigern war. Das einst kräftige und volle schwarze Haar hatte sich ausgedünnt, und erste Geheimratsecken waren nicht mehr zu leugnen. Die Augen müde, halb geschlossen, erkannte er einen stoppeligen Dreitagebart, den er am nächsten Morgen abnehmen würde. Einzig seine Nase hatte sich in den letzten Monaten nicht verändert. Noch immer war sie kerzengerade und schmal; in der Größe mit den jetzt kantigen Wangenknochen gar nicht unproportional.
Als er das Hemd aufknöpfte, bemerkte er, dass er einige Kilos mehr als befürchtet verloren hatte. Die sonst gut akzentuierte Brust hatte den Muskelbesatz ganz eingebüßt. Auch der Hemdkragen saß nicht mehr akkurat an seinem gewohnten Platz, sondern hing schlaff auf den Schlüsselbeinen. Daneben am Hals spürte er die handtellergroße Hautfläche, die sich rosafarben vom Weiß abhob. Den kritischen Blick auf Bizeps und Unterarme ersparte er sich.
Stattdessen stieg er auf die Waage, die unter dem Handwaschbecken ersten Staub angesetzt hatte. Das elektronische Display pendelte sich auf neunundsiebzig-fünf ein.Das waren fünf Kilo und vierhundert Gramm weniger als normal. Bei einer Größe von einem Meter achtundachtzig hatte er damit eindeutig Untergewicht.
Er musste essen, mindestens dreimal täglich. Gesund musste es sein, eiweiß- und kalorienhaltig, damit er überhaupt eine Chance hatte, die nächsten Wochen zu überstehen. Er wusste, dass er alle Kraft und Ausdauer benötigen würde. Doch er hatte keinen Appetit.
Hör mit dem Saufen auf
, hörte er eine Stimme im Kopf schimpfen,
dann kannst du wieder essen
.
Schon gut
, tat eine
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