Und ewig währt die Hölle (German Edition)
erstarrt da, aber dann fiel ihr Blick auf den offenen Schulranzen in der Kinderzimmertür, aus dem das Mathematikheft halb herausragte. Ihre Schultern entspannten sich.
«Ich komme!» Sie griff nach dem Schulranzen, hakte die Sicherheitskette aus und öffnete die Tür. «Du hast dein …»
Nadija verstummte abrupt.
«Du?», bekam sie gerade noch heraus, ehe ein kräftiger Stoß gegen die Brust sie zu Boden warf. Im letzten Moment, bevor ihr Hinterkopf auf den Fußboden schlug, dachte sie daran, was Nora wohl tun würde, wenn sie entdeckte, dass sie ihr Matheheft zu Hause vergessen hatte.
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Kapitel 1
Parisa Sadegh zog den Slip aus und ließ sich in das dampfend heiße Wasser sinken. Was für ein anstrengender Herbst. Zwei Morde in drei Wochen, das war selbst für eine Großstadt wie Oslo ungewöhnlich. Außerdem war Darre auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben, was eine Menge Überstunden bedeutete. Das war auch nicht anders zu erwarten, wenn man für Kommissar Rolf Gordon Lykke arbeitete. Sie war mit anderen Worten selbst schuld. Als sie vor acht Jahren ihren Polizeidienst begann, hatte sie alles darangesetzt, um in Lykkes Abteilung zu kommen. Die größten und schwierigsten Fälle gingen immer an ihn. Er war der erfahrenste und, nach Meinung vieler Kollegen, auch der beste Ermittler im Polizeipräsidium, und außerdem sagte er nie nein.
Parisa legte ein Bein auf den Rand der Badewanne und griff nach der Flasche Rasierschaum inmitten unzähliger Duschgels und Badeöle, die ihr eine Pfirsichhaut und ewige Jugend versprachen. So ein heißes Bad war ein Luxus, den sie schon in ihrer Kindheit in Teheran geliebt hatte. Nachdem ihre Familie Mitte der achtziger Jahre nach Schweden geflüchtet war, hatte sie sich viele Jahre lang mit einer Dusche begnügen müssen, bevor sie ihr Glück in Norwegen versucht, die Polizeischule absolviert und sich eine Wohnung in Bislett gekauft hatte. Sechzig Quadratmeter mit eigener Badewanne.
Sie nahm den Rasierer aus der Seifenschale und ließ ihn über ihre schlanken Beine gleiten. Nicht, dass sie hysterisch besessen von ihrem Körper und ihrem Aussehen gewesen wäre, aber unerwünschten Haarwuchs entfernte sie immer sorgfältig.
Parisa drehte den Hahn auf, ließ klares Wasser in die Hände laufen und spülte ihr Gesicht ab. Dann fuhr sie sich mit den Fingern durch das kurze, rabenschwarze Haar. Mehrere ihrer Freundinnen aus der Zeit auf der Polizeischule schickten wöchentlich besorgte Mails. «Du bist dreiunddreißig, Parisa, wieso gehst du nicht mehr aus?» Oder: «Bei sukker.no sind unglaublich viele süße Typen.» Sie hatte ein wenig gesurft und sich die verschiedenen Dating-Portale angesehen. Davon gab es viele, und das Spektrum reichte von gemütlichen kleinen Web-Communities bis hin zu Internetseiten mit so netten Namen wie gangbang.no oder fuck2night.com , die keinen Zweifel aufkommen ließen, was hier zu erwarten war. Parisa hatte mit einiger Skepsis ein eigenes, allerdings anonymes Profil bei match.no eingestellt. Und offenbar «passte» sie zu vielen Männern, die hier auf der Suche waren. Auf «unglaublich süße» Typen stieß sie allerdings kaum, obwohl schon der eine oder andere darunter war, den man sich ein wenig genauer ansehen konnte. Vorläufig hatte sie sich darauf beschränkt, die Mails von Kandidaten zu sichten, die vielleicht, mit Vorbehalt, einen zweiten Blick wert waren. Sie hatte sie einer Freundin am Telefon vorgelesen, und beide hatten sich halb totgelacht.
Sie erhob sich halb aus der Wanne und kontrollierte die Bikini-Linie und die Achselhöhlen. Strich mit dem Zeigefinger über eine lange, rosa Narbe auf der Innenseite ihres linken Oberarms. Eine Erinnerung an ihre Zeit als Marinejäger beim schwedischen Militär.
1307 Sadegh war eine Mustersoldatin gewesen und hatte die Grundausbildung ohne nennenswerte Konkurrenz als beste Rekrutin ihres Jahrgangs abgeschlossen. In Anbetracht ihrer Größe von eins fünfundsechzig und ihrer einundfünfzig Kilo war das eine sehr respektable Leistung, und die Ergebnisse ihrer Prüfung wurden immer noch als Vorbild für neue, auch männliche Rekruten verwendet.
Parisa schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, bis sie das warme Wasser in den Ohren spürte. Sie versuchte, sich den Duft der violetten Blumen in Erinnerung zu rufen, die den Pool auf der Dachterrasse in Teheran gesäumt hatten. Als kleines Mädchen hätte sie nie gedacht, dass dieser Duft sie jemals verlassen würde, aber
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