Und ewig währt die Hölle (German Edition)
den Blick Lykke zu.
«Weil der Krieg ausbrach, Blödmann.»
Lykke holte Luft.
«Wohnte Nadija während der Belagerung auch in Sarajevo?»
«Wir haben alle da gewohnt, die ganze Familie.»
Hörte er ein leichtes Zittern in der Stimme?
«Und während der Belagerung wurde kein Fußball gespielt?»
Lykke hörte, wie Kuvås sich im Hintergrund räusperte, beschloss jedoch, ihn zu ignorieren.
«Da waren Heckenschützen …»
«Die haben auf Fußballer geschossen?»
Auf Fadils Stirn glänzte es feucht. Er rutschte unablässig auf dem blauen Stuhl herum.
«Die haben auf alles geschossen.»
«Aber Ihre Familie hat überlebt?»
Fadil richtete die Augen wieder auf den Dolmetscher.
«Nadija und ich haben überlebt.»
Lykke spürte, dass er an einen entscheidenden Punkt gekommen war. Jetzt oder nie, dachte er.
«Was ist mit den anderen in Ihrer Familie passiert?»
Der Dolmetscher wandte sich Fadil zu und übersetzte. Der junge Mann starrte mit leerem Blick an die Wand.
«Fragen Sie ihn noch mal», sagte Lykke.
Dizar wiederholte die Frage, doch Fadil machte keine Anstalten zu antworten.
«Verdammt!» Lykke stand auf.
«Sollen wir eine Pause machen?» Der Dolmetscher nahm die Brille ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. «Sieht so aus, als hätte er dichtgemacht.»
«Da liegt die Lösung.» Lykke drehte sich zu Parisa um. «Was wird ihm vorgeworfen?»
«Keine Ahnung, soll ich mich erkundigen?»
«Tu das. Jetzt gleich!»
Parisa verschwand hinaus auf den Flur, das Handy am Ohr.
Lykke betrachtete Fadil, der die Fäuste auf dem Schoß geballt hatte und ins Leere starrte. Der blaurote Bluterguss an der Nasenwurzel bildete einen scharfen Kontrast zu seiner grauen Gesichtsfarbe.
«Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und Widerstand gegen die Staatsgewalt», sagte Parisa, als sie zur Tür hereinkam.
«Danke.» Lykke setzte sich wieder. «Wir machen weiter.»
Der Dolmetscher sah ihn abwartend an.
«Sagen Sie ihm, dass er wegen tätlichen Angriffs gegen Polizeibeamte festgenommen wurde und dass das in Norwegen ein schweres Vergehen ist.»
Fadil hörte sich die Erklärung des Dolmetschers an, ohne eine Miene zu verziehen.
«Dass wir aber alle Anklagepunkte gegen ihn fallenlassen, wenn er uns erzählt, was ihm und Nadija während der Belagerung von Sarajevo widerfahren ist.»
«Ich glaube nicht …», begann Kuvås und blickte zu den Kameras an der Decke, «dass es …»
«Ich übernehme die Verantwortung», fiel Lykke ihm scharf ins Wort. «Übersetzen Sie.» Er nickte dem Dänen zu.
Endlich kam eine Reaktion von dem Bosnier. Er richtete sich auf und sah Lykke fest an. Dann sprach er.
«Er will es schriftlich», sagte der Dolmetscher.
«Das war alles?»
«Das war der Inhalt seiner Worte, ja.»
«Ich will genau wissen, was er gesagt hat.»
Der Dolmetscher zuckte die Schultern.
«Er hat gesagt: ‹Woher soll ich wissen, dass der alte Sack nicht lügt. Ich habe nicht mal einen Anwalt. Sag denen, dass ich das schriftlich haben will.›»
«Er wollte keinen Anwalt», sagte Lykke, riss ein Blatt aus seinem Notizblock und begann zu schreiben.
Kuvås räusperte sich wieder.
«Das ist völlig gegen die Vorschriften», sagte er, «es ist ja nicht mal gesagt, dass uns das weiterhilft …»
«Das ist die einzige Chance, die wir haben», erwiderte Lykke, unterschrieb den Zettel und reichte ihn Fadil. Der Bosnier hielt ihn dem Dolmetscher hin, der ihn las und zustimmend nickte.
«Okay?» Auf Lykkes Schläfen lag ein Schweißfilm.
«Okay.» Osman Dizar blickte ihn abwartend an.
«Jetzt erzählen Sie uns, was passiert ist!»
Erst sah es so aus, als hätte Hadzic es sich anders überlegt. Er hatte das Gesicht zur Wand gedreht und zeigte keinen Willen zur Zusammenarbeit.
Dann plötzlich, als hätte jemand ein Uhrwerk in seinem Rücken aufgezogen, begann der junge Bosnier in langen Sätzen stakkatohaft zu sprechen, fast drei Minuten lang, bis der Dolmetscher ihn unterbrach.
«Das wurde zu viel. Ich werde es so genau wiedergeben, wie ich kann.»
«Tun Sie das», sagte Lykke.
«Wir sind am 11. Juli 1995 aus unserem Haus in Srebrenica geflohen. Mutter, Vater, Nadija, meine kleine neunjährige Schwester und ich. Am selben Abend kamen wir im Dorf Potočari an. Dort waren schon Tausende von Flüchtlingen. Es war heiß, es gab nur wenig Wasser und fast nichts zu essen. Gleich in der ersten Nacht kamen serbische Soldaten und griffen sich Flüchtlinge heraus. Um halb fünf Uhr morgens
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