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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Gänsehaut. Sie, die sich bisher nie vor dem Teufel gefürchtet hatte, hatte jetzt das Gefühl, ihm gerade begegnet zu sein. Und hatte sie nicht auch einen verbrannten Geruch wahrgenommen?
    Nun beruhige dich. Sie zwang sich, die Augen auf die Klostertür zu richten und betätigte den Türklopfer erneut. Sie wollte hinein, rein in die Sicherheit der Klostergemeinschaft. Sofort! Und sie wollte nie mehr wieder in den Finsteren Gang gehen.
    Warum dauerte das heute so lange? Sie streckte die rechte Hand vor, packte den Türklopfer und hämmerte damit auf die Tür ein. Mit der linken hielt sie sich den Mund zu, damit neben ihrem Keuchen keine unkontrollierten Paniklaute herausdringen konnten, dann legte sie die Hand auf ihr immer noch wie wild hämmerndes Herz. Und drückte darauf. Und rieb. Drückte, rieb – und sah schließlich hinab auf ihre Finger, fest auf dem Wollstoff ihres Mantels. So hatte sich doch ... Dort im Finsteren Gang, der Moment, in dem sie etwas getastet hatte – es hatte sich genauso angefühlt wie jetzt ihr Mantel.
    Sie rieb noch einmal, hob dann die Hand, schnupperte daran, roch dann an ihrem Ärmel. Der Geruch, den sie vorhin gerochen hatte. Rauch.
    Mathilda hörte auf, mit dem Türklopfer auf die Türe einzudreschen und dachte nach: Sie selbst roch nach Rauch, schließlich brannten in allen Gemeinschaftsräumen die Kamine. Auch in der Unterrichtsstube!
    Sie hatte also einen Wollmantel dort im Finsteren Gang gefühlt, der wie der ihre nach Rauch gerochen hatte.
    Sie hob den Kopf. Einem Menschen in Kutte und Mantel war sie begegnet. Aber wem? Konnte es Zufall gewesen sein? Das war fast nicht möglich. Sie selbst war gerannt – und damit laut gewesen. Wäre ihr jemand entgegengekommen, hätte derjenige gerufen.
    So war es aber nicht gewesen. Wer auch immer dort unten gestanden war, er hatte sich in die Türnische gedrückt – und auf sie gewartet.
    Die Frage war nur, warum? Warum sollte das jemand tun, dort, in völliger Finsternis? Warum nicht vor oder nach dem Gang, im Licht?
    Weil es verboten war, weil derjenige nicht mit Mathilda gesehen werden wollte?
    Aber wer? Sie trommelte mit den Fingern auf die Türe und dachte angestrengt nach. Sie würde Edeltraud fragen, ob sich jemand besonders gerne dort im Dunkeln herumtriebe.
    In dem Moment ging das Pfortenfensterchen auf.
    „Ich komme ja schon“, sagte eine ungeduldige Stimme, die nicht Edeltrauds war.
    Mathilda reckte den Kopf, aber das Fenster war schon wieder zugegangen.
    Dann ratschte es endlich im Schloss, die Tür wurde aufgezogen – und Elisabeth stand darin. Überrascht starrte Mathilda sie an – und beschloss schlagartig, lieber nichts von dem zu erzählen, was sie soeben erlebt hatte.
    „Tut mir leid“, sagte Elisabeth und lächelte freundlich. „Aber ich habe Edeltraud abgelöst, weil die in der Küche mithelfen musste. Und in der Eile jetzt hab ich den Schlüssel nicht gefunden.“
    Sie warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. „Du siehst seltsam aus, so bleich. Was ist denn?“
    „N-nichts“, stammelte Mathilda. Dann fiel ihr ein, dass eben doch etwas war: „Ist jemand gestorben?“
    Erstaunt sah Elisabeth sie an. „Nicht, dass ich wüsste. Wie kommst du denn darauf?“
    „Auf dem Friedhof ist ein frisches Grab ausgehoben“, sagte Mathilda knapp. „Heute Mittag war es noch nicht dort.“
    „Ach.“ Elisabeth lächelte und schien erfreut. „Haben sie es endlich gemacht? Das ist gut.“ Erst dann bemerkte sie Mathildas Irritation und fügte erklärend hinzu: „Nach einer Beerdigung wird stets gleich das nächste Grab ausgehoben. Den Lebenden zur Mahnung, die sich immer daran erinnern sollen, dass ihr Leben ebenfalls enden wird. Diesmal hat es lange gedauert, die Beerdigung von Pater Heinrich war schon Ende September.“
    „Es ist also niemand gestorben?“ So ganz verstanden hatte Mathilda nicht, wovon Elisabeth sprach.
    „Aber nein“, antwortete die sofort. „Es ist das Grab für den Nächsten, der hier im Kloster sterben wird. Vielleicht für dich oder mich, das können wir schließlich nicht wissen. Es wird nur deshalb so schnell ausgehoben, damit wir uns dort unserer eigenen Sterblichkeit vergegenwärtigen können.“
    Mathilda ruckte mit dem Kopf zurück. Das war makaber. Das war eindeutig noch sehr viel makabrer als die seltsam eklig-brutalen Bibelstellen, die zu den Mahlzeiten vorgelesen wurden.
    „Was bist du denn noch immer so blass?“ Elisabeth warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Vor einem leeren Grab

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