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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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allumfassenden Geräuschkulisse anschwollen.
    Gab es drüben Hinweise auf eine Unruhe, die auf die Abwesenheit eines Konventmitgliedes hindeuten könnten? Angestrengt lauschte Arno hinüber, doch im Schweigen des Abgangs wäre bei den Frauen wahrscheinlich ebenso wenig wahrzunehmen wie hier, wo die Mönche jetzt gewohnt routiniert und scheinbar unbeeindruckt vom Fehlen Georgs nacheinander den Chor verließen.
    Widerstrebend schloss Arno sich dem Zug ins Refektorium an. Er musste den Jungen finden. Herausfinden, was passiert war. Dass etwas passiert sein musste, daran zweifelte er mittlerweile nicht mehr. Wenn der überaus pflichtbewusste und zuverlässige Georg für die Dauer des gesamten Gottesdienstes der Gemeinschaft fernblieb, dann musste er krank sein oder ...
    Oder. Arno stöhnte besorgt auf.
     
    Stumm beschleunigte er seine Schritte, bis er schon im Seitengang mit Georgs Freund, Bruder Simpert, aufgeschlossen hatte. Das Silentium hinderte sie nicht daran, sich mit stummen, besorgten Blicken darüber zu verständigen, dass auch der junge Mönch keine Ahnung hatte, wo Georg sich aufhielt.
    Arno wartete, bis die Schwelle der Kirche sie des Schweigens entband: „Habt Ihr ihn nach dem Unterricht schon gesehen?“
    „Nein. Soll ich ihn in seiner Zelle suchen?“
    „Das ist lieb von Euch, danke.“
    Arno ließ ihn ziehen – und sah sich dann auf einmal von einem unerklärlichen Widerstreben erfüllt nach Hartwig um. Aber fragen musste er ihn. „Habt Ihr eine Ahnung, was mit Bruder Georg sein könnte?“
    „Er ist vor mir aus der Bibliothek weg.“
    Das wusste Arno – und das war es ja, was alles doppelt bedrohlich erscheinen ließ. Er wartete.
    Sah seinen Schüler zögern. „Und als ich kurz nach ihm herunterkam, da habe ich ...“
    „Ja?“ Arno nickte mehrfach, ihn zur Eile antreibend.
    Der Junge war irritiert. Vielleicht auch über Arnos Ungeduld, aber das war jetzt nicht zu ändern. „Sonst sehe ich ihn immer in der Halle, wo Bruder Simpert aus der Werkstatt kommt.“
    Arno atmete ein und aus. „Und heute?“
    „Heute nicht.“
    Heute hatte er nicht seinen Freund treffen wollen. Heute war er nicht in seinen Konvent zurückgekehrt. Heute hatte er einer Frau einen Apfel geschenkt und war mit einem Lächeln von ihr bedacht worden und – hatte mehr gewollt.
    Ohne sich wenigstens bedankt zu haben, strebte Arno zurück, durch die Halle, zwischen den letzten dem Refektorium zustrebenden Mönchen hindurch, den Gang zum Osttor entlang. Zur Bibliothek. Beziehungsweise weiter, in Richtung Kirche.
     
    „GEORG.“
    Da saß er, in sich zusammengesunken auf den Kirchenstufen, das Gesicht in die Hände gestützt. Nicht aufsehend, obwohl er Arnos Schritte gehört haben musste. Ein schlechtes Zeichen. Aber er war allein. Zumindest jetzt wieder.
    „WAS HABT IHR HIER VERLOREN?“ Arno war heran. Viel zu laut, viel zu atemlos, viel zu besorgt. Viel zu schnell, um so abrupt vor dem Jungen zum Stehen zu kommen. Er schwankte in Laufrichtung, ehe er sein Gleichgewicht wiederfand.
    Georg war im Sitzen so weit wie möglich zurückgewichen, einen Arm schützend vor sein Gesicht erhoben, als rechnete er damit, dass Arno ihn schlüge.
    „Ich habe von hier aus Vesper gebetet, der Herr weiß, dass ich die Wahrheit sage.“
    Perplex verharrte Arno mit schon wieder geöffnetem Mund. Der Gottesdienst hätte sein Anliegen sein müssen.
    Dann erkannte er, dass die Frage auf seiner Zunge trotzdem passte. „Seid Ihr allein? Wart Ihr allein? Warum seid Ihr nach dem Unterricht nicht in den Konvent zurückgekehrt?“
    Gar kein Anliegen hätte er haben dürfen – und schon gar nicht ein so unüberhörbar dringendes. Gnädiger Gott, gib mir meine Gelassenheit zurück!  
    Etwas stimmte nicht. Der junge Mann blinzelte nicht etwa verwirrt zu ihm herauf, um sich mit skeptischem Blick zu verteidigen, jedwedes Unrecht weit von sich zu weisen. Georg – war aufgesprungen. Rückwärts bis an die Kirchentür gewankt. Seine Hände zu beiden Seiten seines Körpers gegen das Holz pressend. Das leibhaftige schlechte Gewissen.
    Arnos Herz schien in seinem zähen Blut festzustecken. In seinen Ohren schallerte es hohl.
    „Ich habe nichts getan, ehrlich nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan.“
    „HAST DU SIE ABGEFANGEN?“ Noch während diese Worte in der Luft hingen, war Arno nicht sicher, ob er sie wirklich hinausgeschrien hatte.
    „Ich habe sie nicht ... nicht abgefangen“, stammelte Georg, sich vor Arno windend.
    „Was soll das heißen?“

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