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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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nach einem sich endlos hinziehenden, eigentlich substanzlosen Kapitel und einer weiteren Vesper ohne wahre Versenkung in Gott – öffnete Arno endlich die Tür zu seiner Kammer und trat mit einem erleichterten Seufzer in seinen privaten Raum. Schlüpfte aus seinem Mantel, widerstand, wie üblich, dem Impuls, ihn einfach auf sein Bett zu werfen, und hängte ihn stattdessen an den dafür vorgesehenen Haken.
    Statt des Abendessens würde er jetzt in seiner Zelle beten. Für sich. In sich gehen, wieder einmal versuchen, eine Lösung zu finden.
    Zum wiederholten Male in diesen Tagen tauchte das Gesicht seines Lieblingsbeichtvaters aus seiner Jugend, Pater Bertram, vor seinem inneren Auge auf – auch diesmal schob er es zur Seite. Er war derjenige, der Arno in seiner Krise als ganz junger Mann unterstützt hatte – aber halt – dies hier war doch keine Krise! Es war lediglich ... eine Irritation in seinem beruflichen Alltag. Die sein Leben nicht wirklich beeinflusste – und schon gar nicht seine Identität als Priester. Nein, dies hier konnte er problemlos allein bewältigen.
    Was nicht hieß, dass er Pater Bertram nicht wieder einmal schreiben könnte. Es war bereits einige Zeit ins Land gegangen, nachdem sie das letzte Mal voneinander gehört hatten.
    Doch vorerst würde Arno sich dem Mathilda-Problem widmen – der Mathilda-Irritation , verbesserte er sich rasch und kniete endlich vor dem Kruzifix nieder.  
    „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme ...“
    Die vertrauten Worte strömten aus seinem Mund, in seine Ohren, bildeten einen geschlossenen Strom durch seinen ganzen Körper, sammelten sich in seinen gebeugten Knien, prickelten von dort aus zurück bis in die Fingerspitzen seiner gefalteten Hände.
    „ ... unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld ...“
    Ist es so? Ist es das, was mich quält? Mache ich mich schuldig? Indem ich sie unterrichte? Sie bei der Beichte ein Gespräch beginnen lasse? Ihr zu trinken gebe, wenn sie Kopfschmerzen hat oder sie vor der Dunkelheit beschütze?
    Er hatte sein Gesicht gehoben, fixierte den Messias über ihm am Kreuz. Was sollte daran falsch sein? Mathilda war seine Schülerin, und er sorgte für sie, wie er für all seine Schüler sorgte. Nein, es gelang ihm beim besten Willen nicht, darin ernste Verfehlungen zu erkennen.
    Er senkte den Blick und begann von Neuem. „Vater unser im Himmel ...“
    Wiederum verfolgte er den Fluss, welchen das Gebet in seinem Körper nahm.
    „... dein Reich komme, dein Wille geschehe ...“
    Das war es, was er brauchte. Sich diesem Fließen in ihm hinzugeben, sich wieder vollkommen Gottes Willen anzuvertrauen. Aufzuhören, sich anzustrengen, zu grübeln, zu sorgen.
    „... und vergib uns unsere Schuld ...“
    Das würde Gott – wenn Arno das gelänge, wenn er sich ihm nur wieder uneingeschränkt anvertrauen könnte.
    „... und führe uns in die Versuchung ...“
    WAS? Jähes Entsetzen hatte ihn aufspringen und einen Schritt ins Leere machen lassen. Was hatte er da gesagt? Und warum? Seine Kammer war zu klein, um auf und ab zu gehen. Unentschlossen drehte er sich um seine eigene Achse, um sich dann, in Ermangelung einer Alternative, wieder hinzuknien. War Mathilda eine Versuchung? War sein Verhalten ihr gegenüber sündhaft? Seine Motive? Seine Reaktionen?  
    Er rang die Hände Jesus entgegen.
    Aber was tat er denn? Gegen welche Gebote verstieß er? Mechanisch ging er eines nach dem anderen durch. Er fand nichts. Da war doch nichts. Er tat doch gar nichts!
    Das Experiment! Er stand schon wieder, seine Hände vor die Augen schlagend. Drückte die Finger mit Kraft dagegen.  
    Wie blind war er, dass er sich erst jetzt an das Experiment erinnert hatte! Denn dieses war eindeutig Sünde, oder? Mathildas und Georgs Weg mündete jedenfalls darin. Und Arno ... bewegte sich langsam rückwärts, an seinem Bett vorbei, bis sein Rücken an die Wand unterhalb des Fensters prallte. Wiederholte dies, indem er sich abstieß, um sich erneut an die Wand fallen zu lassen. Noch einmal.
    Nein! Ein letztes Mal stieß er sich von der Wand in seinem Rücken ab und ging vorwärts, zu seinem Kruzifix zurück. Kniete von Neuem nieder.
    Nein, auch was das Experiment betraf, tat er nichts Verwerfliches. Dass die beiden jungen Leute Umgang miteinander hatten, lag nicht in seiner Verantwortung, und wie es mit ihnen weitergehen würde, ebenso wenig. Im Gegenteil. Er selbst schaute doch nur zu.
    Genau das

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