Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
Vom Netzwerk:
Psalmes von ihrem Tisch verbannt hatte?
    Sie stand vor ihm und flehte. Stumm, nur mit den Augen. Es schien ihr ernst zu sein. Wenn das so war, dann konnte er natürlich nicht anders.
    „Was wollt Ihr sonst? Hartwig ist schon weg – soll ich nach einer Nonne schicken? – Ach was.“ Er erhob sich und gab ihr mit einem Kinnwink zu verstehen, ihm zu folgen. „Dann können wir genauso gut gleich zusammengehen.“
    Sie sich sogleich voll freudigen Eifers auf ihre Sachen stürzen zu sehen, um schon im nächsten Moment mit ihm aufschließen zu können, besänftigte ihn irgendwie. Augenscheinlich hatte er ihr Unrecht getan. Mathilda war keine Frau, die sich verstellte, um auf diese Weise ihre Ziele durchzusetzen. Es musste ihr wirklich unangenehm sein, mit Georg allein ...
    Warum auch immer – vielleicht hatte der Junge sie einfach zu sehr erschreckt?
     
    Es war seltsam, sie zu begleiten. Nein, es war seltsam, dass er es als seltsam empfand. War das die ansonsten allgegenwärtige Existenz des Klausurgitters? Ach Unsinn, hier ging es nicht um die Trennung der beiden Konvente, sondern schlicht darum, dass diese Trennung eben in seinem Unterricht nicht galt. Er warf seiner Schülerin einen unauffälligen Seitenblick zu, als sie an der Kirche vorbei in den Friedhofsweg einbogen.
    Sie wurde langsamer, wies zur hoch aufragenden Mauer des Frauenkonvents auf der gegenüberliegenden Seite.
    „Man hat mir gestern von dem Brauch erzählt, sich an einem offenen Grab mit der eigenen Sterblichkeit zu konfrontieren.“ Sie war gänzlich stehengeblieben, wandte sich ihm direkt zu und fragte in der ihr eigenen zugleich unbefangenen und ungläubigen Art: „Aber reicht dazu nicht ein einziges Grab? Heute sind es schon zwei!“
    Es war einfach zu verlockend. Arno verzog Mund und Augenbraue zu einem unwillkürlichen Grinsen. „Zwei Konvente – zwei Gräber“, sagte er lässig.
    Im ersten Moment war sie ehrlich verblüfft. Dann konnte er zuschauen, wie das Lachen in ihre Augen sprang. „Dann fehlt aber noch das Klausurgitter in der Mitte!“
    Er lachte laut. Es ging nicht anders. Das war genau das, was mit ihr so viel Spaß machte! Wozu er sich nicht hätte hinreißen lassen dürfen.
    „Wir benötigen einige fertige Gräber“, informierte er sie ernst. „Bevor der Frost endgültig einsetzt.“
    „Oh, klar.“ Sie nickte beflissen. „Als Wintervorrat sozusagen.“
    Diesmal lachte er nicht.
    Sie hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Ohne ihren Blick von ihm zu nehmen. „Die Mönche tun das auch?“
    Seine Augenbraue übernahm das Nachfragen selbständig.
    „Sich an den eigenen Tod erinnern.“
    „Ach so. Wer das Bedürfnis danach hat – ja.“
    „Habt Ihr das Bedürfnis danach?“
    Er hatte den Mund schon geöffnet. Vielleicht würde das helfen?  
    ALSO NEIN! Jetzt war aber Schluss mit dieser ... wildwuchernden Spontaneität, die sich seiner schon wieder zu bemächtigen drohte. Diese Anwandlungen mit Nachdruck aus seinem Kopf schüttelnd, beschleunigte er seine Schritte ihrem Ziel, dem Finsteren Gang, entgegen.  
    Er hörte Mathilda ihm nacheilen. Als er, am Tor angekommen, seine Hand nach dem Griff ausstreckte und sich zu ihr umblickte, lächelte sie ihn ganz gelöst an. „Ich danke Euch, Pater Arno.“ Froh und zufrieden.
    Den Erwiderungsimpuls des Lächelns lenkte er wiederum in seine Augenbraue. Und als hätte diese Leistung seine Vernunft dermaßen abgelenkt, bahnte sich prompt seine unzensierte Neugierde daran vorbei ihren Weg: „Geht Eure Angst auf Bruder Georgs ... Verhalten vorgestern zurück?“
    Wenn es eine unangemessene Frage gewesen war, so ließ Mathilda sich nichts anmerken. Schüttelte ganz unbefangen den Kopf, schien allerdings nach Worten zu suchen.
    Arno hielt in seiner Bewegung inne, das Tor zu öffnen, abwartend, ob sie antworten würde.
    „Es ist furchtbar dunkel in diesem Gang – und es gibt eine Tür, aus der jemand herausgreifen könnte – ein Echo, das einem nachkommt ...“ Sie sah ihn vollkommen offen an. „Nein, ich hatte immer schon Angst. Aber vorgestern ist sozusagen eine meiner Ängste wahrgeworden.“
    Arno nickte, hatte mittlerweile den Torflügel aufgezogen, als ihn ein auffordernder Blick ihrerseits vorerst veranlasste, sich ihr wieder zuzuwenden.
    „Haltet Ihr mich jetzt für ein anstrengendes kleines Kind?“
    Warum fragte sie ihn ausgerechnet das?
    „Ich halte Euch für erwachsener als sämtliche Nonnen, die sich vor dem Teufel fürchten, der im Dunkeln auf sie

Weitere Kostenlose Bücher