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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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könnte, wäre wohl, sich ein sehr dickes Fell zuzulegen. Wie Katharina, die jede Anklage, jede Strafe mit einem Achselzucken abtat und weitermachte, als wäre nichts geschehen. Aber genau das konnte Mathilda nicht.
    Sie ahnte, dass sie es der Äbtissin zu verdanken hatte, bisher trotz allem verschont geblieben zu sein.  
    Alle wurden angeklagt, nur sie nicht. Noch nicht, denn am deutlich steigenden Unwillen Mutter Örtlerins ihr gegenüber konnte Mathilda ablesen, dass die Schonzeit auf ihr Ende zuging.
    Ja, es war notwendig geworden, sich damit abzufinden, dass sie im Kapitel würde liegen müssen. Ihre Angst vor Schlägen hatte sich zwar weitgehend gelegt - bis jetzt war niemand gegeißelt oder auf eine andere Art körperlich gezüchtigt worden. Dennoch, vor aller Augen auf dem Boden liegen und für eine willkürliche Anklage eine ebenso willkürliche Strafe hinnehmen zu müssen, empfand sie als zutiefst demütigend.
    Ein einziger Vorteil erwuchs ihr aus dieser Situation: Wegen der Klosterregeln quälte sie sich nicht mehr. Wie Katharina war sie inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass die lediglich als Richtlinien zu verstehen waren. Und dass es schlicht Pech war, wenn man bei einer Übertretung erwischt wurde.
    Ihre Sünden jedoch waren da etwas ganz anderes. Mit großer Bestürzung hatte sie bemerkt, dass Sebastian 'zurückgekehrt' war. Einige Zeit hatte sie kaum mehr an ihn gedacht. Doch jetzt schlich sich die Sehnsucht nach ihm und der Schmerz darüber, dass er sich so leichten Herzens für ein Leben entschieden hatte, das ihr doch einiges abverlangte, immer öfter in ihr Denken und Fühlen. Sie beichtete ihre Gedanken jede Woche, immer in der Hoffnung, dass es dadurch besser, leichter würde. Pater Palgmacher mahnte sie ebenso regelmäßig, ihre Gefühle auf Gott zu übertragen und zur Sühne in jedem freien Moment zu beten, statt an 'ihn' zu denken. Was bisher nur dazu geführt hatte, dass sie noch öfter und länger an Sebastian dachte und sogar nachts von ihm träumte.
     
    Höhepunkt des Tages war für sie nach wie vor der Unterricht. Den ganzen Vormittag über, den sie immer noch im Holzdienst verbrachte, freute sie sich auf die Stunden am Nachmittag, die sie drüben in der Bibliothek verbringen würde. Dort, inzwischen wusste sie, was ihr so gefiel, herrschte Freiheit des Geistes. Dort durfte sie denken – und diese Gedanken auch formulieren.
    Aber auch hier gab es leider die eine oder andere Kröte zu schlucken. Die eine war, dass Pater Arno sich mehr und mehr um Hartwig kümmerte, der jetzt dauerhaft oben im Skriptorium arbeitete, bei den anderen Übersetzern.
    In Ermangelung ihres Lehrers musste sich Mathilda jetzt stets an Georg wenden, wenn sie Hilfe benötigte. Sie bemühte sich zwar darum, diese so wenig wie möglich in Anspruch zu nehmen, weil sie deutlich wahrnehmen konnte, wie schwer ihm das fiel. Nicht nur seine Hände zitterten vor Anspannung, wenn er ihr nahe kommen musste, um eine Textstelle zu erläutern.
    Doch selbst wenn Pater Arno anwesend war, verwies er sie mit unwirschem Blick an Georg, sobald sie sich an ihn wandte. Konnte er denn nicht sehen, wie es um Georg stand, dass der selbst immer weniger arbeitete?
    Manchmal hatte sie den Verdacht, dass Pater Arno es genau so wollte. Dass er wollte, dass Georg und sie ... Aber sie musste sich täuschen, das konnte doch einfach nicht sein!
    Die andere Kröte war, dass Pater Arno mit schöner Regelmäßigkeit grimmigen Blickes aus dem Raum stürzte, wenn sie dann mit Georg zusammenarbeitete. Als wollte er das dann doch wieder nicht.
    Mathilda fand sein Verhalten zunehmend verwirrender und überlegte, ob es an ihr liegen könnte. Ob sie ihm nicht recht war? Ob er sich wünschte, sie möge verschwinden?
    Schon eine ganze Weile hatte sie kein Gespräch mehr unter vier Augen mit ihm führen können, weil er ihr stets auswich. Und selbst in der Beichte ging das nicht mehr, denn die nahm jetzt mit schöner Regelmäßigkeit Prior Palgmacher ab.
    Die letzte Kröte hatte mit dem Unterricht selbst nur indirekt zu tun. Mathilda wollte ihrem Vater schreiben, sich nach seinem Befinden erkundigen und ihm sagen, dass sie Sehnsucht nach ihm habe. Ihr war klar, das würde sie nicht dürfen. Irgendeine nicht zu durchschauende Klosterregel lautete, dass Nonnen vor der Weihe keinerlei Außenkontakte haben dürften. Keine Besuche, keine Briefe. Aber ihr Vater war krank. Er hätte ihr sicher schon geschrieben, wenn es ihm gut genug dazu ginge. Auch wenn man ihr

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