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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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auswendig: 'Christus spricht: Aber es sein zu wissen, dass die ordentliche Bettgewand sollen sein von Stroh, darauf sollen sie haben zwei wollene Decken von Loden ohne Bettdecke. Aber unter dem Haupt ist zu haben ein Kissen überzogen mit Leinentuch und ein Hauptkissen desgleichen überzogen.'Christus hatte das verfügt. Aber was sollte sie tun? Sie fror trotzdem. Also hatte sie eingewandt, dass zwei Wolldecken im Sommer etwas anderes bedeuteten als im Winter und in Jerusalem etwas anderes als hier in Altomünster. Sie war mit einem langen Blick, schmal zusammengekniffenen Lippen und den Worten bedacht worden: „Auch für dich wird es hier keine Ausnahme geben.“
    In den darauffolgenden Nächten hatte Mathilda alle Kleidungsstücke aus ihrer Kommode über die Wolldecken gelegt. Aber all das hatte dieser erbärmlichen Kälte nichts anhaben können. Da konnte man sich wirklich fragen, wie eine solche Regel es in Birgittas Werk geschafft hatte – und, wie es wohl den anderen mit den dünnen Decken erginge?
    Jetzt also stand der kalte Teil des Tages kurz bevor. Aber noch war ihr warm. Mathilda hob Pater Arnos Lampe ein Stück höher und lief den Finsteren Gang entlang.
     
    „Lasset uns beten.“
    Auweia! Die Lippen der Äbtissin waren derart schmal und bleich, das konnte einfach nichts Gutes bedeuten. Mathilda rutschte auf die Knie und hob die Hände.
    Lieber Gott, hilf mir, wenn ich heute dran sein sollte. Du weißt, wie sehr ich mich davor fürchte, aber ich weiß, dass es irgendwann einmal kommen muss. Mir wäre es nur sehr recht, wenn ich wüsste, dass du in der Nähe bist.
    „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
    „Amen.“
    „Gibt es heute Ankündigungen?“, fragte die Äbtissin in den stillen Raum hinein.
    Offensichtlich nicht, denn alles blieb ruhig.
    „Gibt es jemanden, der etwas zu sühnen hat?“
    Es war Elisabeth, die wie von einer Nadel gestochen von ihrem Platz hochfuhr: „Ich bin schuldig, mehrfach meiner Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Nähe nachgegeben zu haben.“
    Katharina stöhnte leise auf und auch in Mathildas Magengrube ruckte es. War es wieder einmal soweit? Waren Katharina und Elisabeth erwischt worden? Oder waren einfach nur Elisabeths Skrupel, ständig die Klosterregeln zu verletzen, neu erwacht?
    Sie sah zu, wie Elisabeth sich geradezu auf den Boden warf und mit ausgebreiteten Armen liegenblieb.
    „Noch jemand?“, fragte die Äbtissin in den Raum hinein.
    Alles blieb still.
    „Nun, dann frage ich, ob jemand eine Anklage vorzubringen hat?“
    Es war die Schönin, die sich nach kurzem Zögern erhob.
    Überrascht und alarmiert starrte Mathilda sie an. Sie war seit damals – bis auf die eine Anklage, weil sie krank geworden war - niemals mehr in irgendeiner Form in Erscheinung getreten. Was also konnte sie heute vorzubringen haben?
    „Ich habe mich schon mehrfach beschwert“, begann sie. „Aber mir wurde kein Gehör geschenkt. Aber ess stört mich, wie ssich ... jemand hier benimmt.“
    „Kommt zur Sache“, wurde sie von der Äbtissin ermahnt.
    Daraufhin drehte die Schönin sich ohne Umschweife zu Mathilda, deren Magen augenblicklich einen Salto nach unten machte. Sie hatte es doch geahnt!
    „Mathilda Finkenschlagin, Ihr mögt noch im Posstulat ssein, aber ess geht nicht, dass Ihr ständig Regeln brecht. Wenn ich ess für nötig halte, Schwester Edeltraud ohne Lampe ausszussenden, steht ess Euch nicht zu, ihr die Eure zu geben.“
    „Du meine Güte“, fuhr Mathilda hoch, „Edeltraud hat doch Angst, wenn sie ohne Lampe in den Finsteren Gang gehen muss.“ Vor dem Teufel , hätte sie gerne noch hinzugefügt, denn sie hatte noch sehr deutlich vor Augen, dass es der Schönin selbst diesbezüglich kaum anders ging.
    Allerdings kam sie nicht mehr dazu. Aus dem vielstimmigen Aufschrei hörte sie vor allem einen heraus. „MATHILDA!“
    Die Äbtissin war ebenfalls aufgesprungen und funkelte sie an.
    „Dass isst ess, wass ich meine“, schrillte die zischelnde Stimme in Mathildas Bewusstsein, das auf einmal nur noch von Empörung erfüllt war. „Ssie hält ssich an keinerlei Regeln.“
    „Tu ich wohl!“
    „MATHILDA“, empörte sich Mutter Örtlerin erneut. „Leg dich hin!“
    Aufgebracht starrte Mathilda auf die nach unten deutende Hand der Äbtissin. Aber das war ihr egal! Wochenlang hatte sie genau die gefürchtet wie die Pest – doch nun stand sie hier und spürte in jeder Faser ihres Körpers, dass diese Frau keine Macht über sie hatte.

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