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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Armen, mit denen sie sich an ihn gepresst hatte, ihn an sie ...
    'Das kann ich nicht.' Was hätte er denn anderes sagen können, was sollte er denn jemals anderes sagen können?
    Ich muss es aber, ich muss schaffen, es zu bereuen, das ist alles!
    'Lass mich nicht wieder allein, Arno!'
    „ES GEHT NICHT ANDERS!“ Seine Stimme prallte gegen den Wind, er hatte das Gefühl zu brüllen und gleichzeitig seine Worte hinunterzuschlucken. „Wie soll das gehen? Was soll ich denn machen? WAS SOLL ICH MACHEN?“
    Denken. Er musste denken. Zur Vernunft kommen, seine normale Stärke wiedererlangen, und dann würde er die Versuchung ...
    'Wirst du mich auch ausmerzen?'
    Verdammt, schon wieder sie!
    Dann eben beten. Also los! „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt ... Dein Reich, Dein Wille ... Versuchung, die Versuchung ausmerzen, die Axt ansetzen, den anderen Teil von mir zerstören, ihn zerstören, sich selbst zerstören ... NEIN!“
    Es ging nicht. Nicht das Beten, und nicht das Denken. Nichts.
     
    Sein Gesicht wurde von peitschendem Wind erfasst. Er taumelte zurück. Wo war er eigentlich? Wie war er hierher geraten, auf diesen Acker, in diese Kälte, in diese graue Hoffnungslosigkeit? Er musste zurück. In den Kapitelsaal. Und später sogar in die Kirche. Das gehörte zu seiner Aufgabe, die Gott ihm auferlegt hatte. Gott erwartete von ihm zu funktionieren. Trotzdem. Um zu beweisen, dass er noch immer Priester war. Ein Priester, der nicht mehr in der Lage war zu beten, der kaum mehr denken konnte vor lauter Gedanken, die er nicht denken durfte, kaum mehr atmen, weil er in der Versuchung all dieser Gedanken ertrank. Ein Priester, der am liebsten vor allem davongelaufen wäre. Aber ein Priester.

Freitag, 13. Januar 1522
    Leide und meide!
     
    Verlaß dich, entsage dir und du wirst großen innerlichen Frieden genießen. Gib alles um alles hin, suche dir nichts aus, begehre nichts mehr zurück.
    Thomas von Kempen
     
     
    Nichts. Leer. Das war er. Innen war er nicht mehr da. Außen hatte er bis vor wenigen Augenblicken einwandfrei funktioniert, hatte alles getan, was von ihm erwartet worden war. Er war – nach dem Vorfall – sogar drei Mal am offenen Grab gewesen und nach seinem letzten, ausgiebigen Besuch dennoch pünktlich in die Morgenbesprechung gekommen.
    Aber dann ...
    „Pater Palgmacher ist krank“, hatte ihn die Äbtissin empfangen.
    Nein! Er hatte sie nur anstarren können.
    „Nun macht nicht so ein Gesicht! Das ist wirklich lange nicht vorgekommen. Und Ihr mögt doch diese Aufgabe.“
    Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihn sehr nachdenklich gemustert.
    „Mutter Örtlerin, ich kann heute nicht.“ Mehr als ein matter Versuch war es nicht gewesen.
    „Warum?“ Der Grad ihrer Verwunderung steigend. „Ihr seid sein Vertreter.“
    „Ich ... fühle mich auch krank, ich ...“
    „Pater, Ihr seid jetzt hier. Ihr werdet auch in der Lage sein, Euch auf den Beichtstuhl zu setzen.“
    „Es ist mein Kopf.“
    „Pater Arno, ich bitte Euch. Ihr wart immer mein zuverlässigster Mann. Und wen von den übrigen Priestern sollte ich denn fragen? Pater Heinrich weilt nicht mehr unter uns. Ich werde Euch etwas Minzöl geben, dann wird es doch gehen mit Euren Kopfschmerzen.“
    Die Örtlerin hatte sich erhoben, war bereits auf dem Weg in den Vorratsraum gewesen, um die Medizin zu holen – als sie jäh verharrt und sich langsam und mit misstrauischer Stirn zu ihm umgedreht hatte, der er noch immer zusammengesunken auf seinem Platz gesessen hatte.
    „Was ist überhaupt mit Euch los?“ Ihre Stimme war auf ihn zu gekrochen wie jene Schlange, in die sie sich neuerdings so oft verwandelte. „Was habt Ihr, Arno? Ihr seid in letzter Zeit so seltsam?“
    Da war er auf die Beine und aus dem Redhaus gestürzt, nicht mehr imstande, sich um irgendetwas zu kümmern, sei es sein Ruf, das Minzöl oder den sinnierenden Gesichtsausdruck seiner Äbtissin.
    'Seltsam'! Ja, er machte wohl wirklich eine mehr als seltsame Figur, wie er jetzt hier stand, zwischen Redhaus und Männerkonvent, genau dort, wo der Wind scharf um die Ecke des Konventsgebäudes pfiff, ihm direkt ins Gesicht, an seiner Kutte zerrend, an seinem Haar, welches schon so lange wieder hätte geschnitten werden müssen. Fahrig langten seine Finger zu seiner Tonsur, fühlten die Stoppeln dort. War es auch diese Nachlässigkeit, für die Gott ihn strafte, indem er sich ihm entzog? Arnos erhobener Arm hatte der nächsten Bö den Weg unter seinen Mantel geöffnet. Er

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