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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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einfach nur mal nett zueinander gewesen war? Ach egal! Mathilda fühlte sich im Moment so wohl, dass sie darüber nicht nachdenken wollte. Lieber lauschte sie Schwester Jordanins Stimme.
    „Das Erstling von der ersten Frucht auf deinem Felde sollst du bringen in das Haus des HERRN, deines Gottes. Und sollst das Böcklein nicht kochen … in seiner Mutter Milch ...“
    Iieh, bäh! Sofort hatte sich ihr das Bild eines in einer Milchbrühe siedenden Jesuspüppleins, das verzweifelt mit seinen kleinen Ärmchen ruderte, vor Augen gedrängt. Mussten die hier beim Essen immer solche brutalen Bibelstellen vorlesen? Angewidert schob Mathilda den Teller von sich, auf dem noch immer ein Stück Fleisch lag. Der Hunger war ihr vergangen. Lieber sah sie den anderen Nonnen beim Essen zu, denen es nichts auszumachen schien, was ihnen da vorgelesen wurde.
    Auf sechzig Nonnen, hatte Vater Sigismund erzählt, sei der Frauenkonvent eines Birgittenkloster ausgerichtet. Im Männerkonvent gäbe es idealerweise fünfundzwanzig Mönche. Aber er hatte auch hinzugefügt, dass das Kloster Altomünster keineswegs voll besetzt sei. Und wenn Mathilda jetzt so herum sah, es gab hier, im riesigen Refektorium, noch jede Menge freier Plätze. Rasch zählte sie. Bei den Laienschwestern kam sie auf zwölf, bei den Chorschwestern auf einunddreißig Nonnen. Ohne sie. Dreiundvierzig Personen also nur insgesamt.
    Wenn Vater Sigismund gesagt hatte, dass es hier viele freie Plätze gebe, so hatte er zumindest in Bezug auf das Frauenkloster nicht die Unwahrheit gesagt. Der Frauenkonvent war alles andere als voll. Auch in die Frauenkapelle würden die paar Laienschwestern noch hineinpassen, dachte Mathilda mit einer Portion Widerspruchsgeist.
    Sie sah, wie die Äbtissin den Löffel beiseitelegte. Jetzt gleich würde es soweit sein.
    Schwester Jordanin hörte auf zu lesen und lief gesenkten Hauptes an den Tischen entlang auf den Ausgang zu. Sie würde draußen alleine weiterbeten müssen, während hier die Rekreation begann.
    Mathilda, die ihr nachgesehen hatte, hörte das Händeklatschen der Äbtissin, den wie gestern direkt darauffolgenden vielstimmigen Seufzer der Nonnen, das augenblicklich einsetzende Stimmgewirr und die vielen kleinen Geräusche, die es machte, wenn jede Nonne sich, erleichtert vom stundenlangen Silentium, ihrer Freizeitbeschäftigung zuwandte.
    Einige der Laienschwestern waren aufgestanden, liefen eilig hin und her und räumten die Tische ab. Doch der Hauptteil der Nonnen kramte unter ihren Plätzen herum – und im Nu hatten sich die Tische in muntere Sammelsurien von Stoffen, Fäden und Perlen, von Scheren und Nadeln, Wollfäden und bunten Bändern verwandelt. Flinke Hände arbeiteten geschickt an Stick- und Näharbeiten, Nadel und Faden wurde geschwungen – und dabei wurde gesprochen, gescherzt und gelacht.
    „Wie geht es dir?“, flüsterte Mathilda Katharina zu und versteckte sich dabei, so gut es ging, vor den eventuell neugierigen Blicken gestrenger Chorfrauen. Wie konnte sie sicher sein, dass Katharina heute frei sprechen durfte?
    Doch Katharina nickte unbefangen und lächelte. „Gut, warum?“
    Na, die konnte Fragen stellen! „Wegen gestern“, sagte Mathilda und richtete sich wieder auf. Offensichtlich hatte sie sich getäuscht. „Wegen deiner Strafe. Und ...“ ... der, die du nicht bekommen hast.
    Mutter Örtlerin hatte sich so angehört, als ob sie generell keine Prügelstrafe einsetzte. Aber vielleicht war Katharina doch schon einmal geschlagen worden?
    Überrascht sah sie, dass die nur gleichmütig mit den Schultern zuckte. „Na und? Geh ich eben in die Küche. Ist nicht zum ersten Mal und nicht so schlimm. Anstrengend schon. Aber dafür schön warm.“
    „Und du hast keine Angst, dass ...“, Mathilda senkte die Stimme noch weiter, „die Schönrätin ...?“
    „Ach die“, Katharina lehnte sich zu Mathilda herüber und raunte: „Ich nenne sie 'die Schönin'.
    Der Name war gut. „Sie wollte, dass du ...“
    „Mutter Örtlerin weiß, dass sie mir damit nicht beikommen kann“, unterbrach Katharina sie leichthin.
    „Wie?“ Mathilda blieb vor Erstaunen fast der Mund offen stehen.
    „Ich bin in meinem Leben so viel geschlagen worden, das ist kein Problem für mich.“
    Meinte Katharina das wirklich ernst? Ohne es zu wollen, war Mathilda voller Bewunderung.
    „Es gibt nur eine einzige Strafe, die ich wirklich fürchte.“ Katharina brach ab und senkte den Kopf.
    Mathilda, die gerade nach dieser Strafe fragen

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