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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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wenig genutzten und gelüfteten Räumen der Fall war.
    Die Schönin steuerte sofort den Tisch an und setzte sich. Mathilda blieb stehen, wandte sich dem Fenster zu und sah hinaus. Das Wetter war umgeschlagen. Statt des strahlenden Sonnenscheins der vergangenen Tage war es heute grau-trüb und windig. Sogar hier hinter dem Fenster konnte Mathilda einen kalten Luftzug fühlen. Rechts von ihr musste sich der Eingang zum Redhaus befinden, links Tür und Treppe hinab zum Finsteren Gang. Der ihr mit seiner immer wieder unverhofften Dunkelheit tagtäglich erneut einen Schrecken einjagte. Den sie deswegen meist eilenden Schrittes durchlief, mit geschlossenen Augen und nur nach rechts und links tastend. Lediglich wenn sie in Begleitung war, wich die Bedrohung dieses Ganges dem Gefühl, ein kleines Abenteuer zu erleben. Doch wenn sie in die Bibliothek wollte – und bei Gott, das wollte sie wirklich – musste sie ihn überwinden. Als wäre er der Preis dafür, dass sie sich dort, im Unterricht bei Pater Arno, bei Georg und Hartwig, so sehr wohlfühlte.
    Die Türe flog auf und eine aufgebracht wirkende Äbtissin kam in den Raum gefegt. „Schwester Schönratin, was gibt es denn jetzt schon wieder?“
    Die schoss von ihrem Platz hoch, faltete demütig die Hände vor ihrem Gesicht und verbeugte sich leicht: „Ich habe Mathilda erwischt, wie ssie ssich von ihrem Arbeitssplatz entfernt hat“, petzte sie sofort.
    „Aha“, nickte die Äbtissin – und wandte sich Mathilda zu. „Darf ich erfahren, warum?“
    Mathilda wiegte den Kopf und verzog den Mund zu einem verzweifelten Lächeln. „Die Befragung, auf die ich mich vorbereiten soll, war der Grund. Ich habe doch keine Ahnung, worum es dabei geht, und wollte mit jemandem darüber sprechen.“
    „Ssie hat mit Schwesster Harnischin getuschelt.“
    „Weil ich ihr zuerst begegnet bin.“
    Das war nicht gelogen. Wenn man mal von der Tatsache absah, dass Mathilda keineswegs die Absicht gehabt hatte, der Schönin zu begegnen und extra auf Edeltraud gewartet hatte.
    „Du warst auf dem Weg zur Pforte?“, fragte die Äbtissin. „Zu deiner ehemaligen Mentorin?“
    Mathilda senkte den Kopf. Ein Nicken wäre gelogen gewesen.
    „Warum hasst du mich denn nicht gefragt?“
    Die Schönin schien bemerkt zu haben, dass die Äbtissin nicht auf ihrer Seite stand. Ihr Ton war mild, als sie sich an Mathilda wandte: „Ich hätte dir doch Ausskunft geben können.“
    Mathilda schwieg betroffen. Wie sollte sie aus dieser Situation herauskommen, ohne zu lügen? Verlegen blinzelte sie.
    „Na, macht auch nichts“, hörte sie da zu ihrer Überraschung die Äbtissin sagen. „Ihr hättet es ebenfalls nicht gewusst.“
    Jetzt flog nicht nur ihr Kopf hoch.
    „Wass?“, rief die Schönin. „Natürlich hätte ich ihr die Fragen für Novizinnen zur Weihe ssagen können.“
    „Nur dass Mathilda keine Novizin ist“, fuhr ihr die Äbtissin über den Mund. „Und auch nicht geweiht wird. Noch nicht“, fügte sie hinzu, als sie den fassungslosen Blick der Pförtnerin bemerkte. „In der fälschlichen Annahme, sie wäre über das kommende Procedere informiert, habe ich Mathilda heute mit Bedacht nicht zum Unterricht geschickt. Sie sollte Zeit zur Besinnung haben. Doch wenn sie nicht weiß, was auf sie zukommt, geht das ja wohl nicht.“
    Sie wandte sich an die Schönin. „Euch, verehrte Schwester, danke ich, dass Ihr mich auf diesen Missstand aufmerksam gemacht habt. Geht nun zurück an Eure Arbeit, damit Ihr Eurerseits keine Unterlassungssünde begeht.“
    Dann wandte sie sich an Mathilda. „Ich werde dir Schwester Jordanin schicken. Sie ist diejenige, die von mir instruiert wurde und sich in diesen Dingen auskennt. Danach gehst du mit ihr zu Nona in den Chor – und anschließend zur Besinnung zurück in deine Kammer.“
    Sie wandte sich zur Türe, drehte sich aber noch einmal um. „Hab ich mich nun klar genug ausgedrückt?“
    „Ja“, nickten sowohl Mathilda als auch die Schönin.
    Die Äbtissin verschwand ebenso geräuschlos, wie sie aufgetaucht war.
    Das Schweigen dauerte etwa drei Atemzüge lang.
    Die Schönin regte sich als Erste wieder: „Warte nur, dich krieg ich noch.“
    Ihr Gesicht war hasserfüllt, als sie Mathilda die Worte entgegenspuckte, ihrerseits zur Tür ging, diese aufriss – und verschwand. Mathilda sah sie über den Hof hasten, sah, wie ihr der Wind erneut den Schleier um den Kopf fetzte – und fröstelte. Nun war aus dem Gefühl, dass dieses Weib noch lange keine Ruhe

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