Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
für Gott selbst. Aber manchmal geht so eine besondere Energie von Abel aus. Er hat dann so ein inneres Leuchten, das man nur bei wenigen Menschen verspürt.» Ich merke, dass Christian diese Wahrnehmung nicht teilt. «Aber vielleicht ist das auch pure Einbildung», füge ich hinzu. «Wir Menschen wünschen uns ja ständig irgendwelche Zeichen, die auf eine andere Welt hindeuten.»
Er nickt verständig. «Ja, es ist kein Vergnügen, seiner Illusionen beraubt zu werden, Dr. Jakobi. Aber manchmal ist das leider bitter nötig.»
Ich lasse mich ebenfalls auf einen Stuhl sinken und schaue nachdenklich nach draußen. Eine Eiche, dick mit Schnee bepackt, verdunkelt das Fenster.
Das Geräusch schneller Schritte auf dem Steinfußboden im Gang reißt mich aus meinen Gedanken. Auch Christian blickt verwundert zur geöffneten Tür. Mit wehender Kutte rauscht ein Ordensbruder vorbei. Die Schritte entfernen sich rasch, bis sie fast gänzlich verstummen. Dann hört man das Öffnen einer Tür, die wenig später wieder geschlossen wird. Und schließlich kommen die schnellen Schritte erneut näher.
Christian erhebt sich, faltet die Hände vor der Brust und wartet. Als der eilige Mönch zum zweiten Mal an der Tür vorbeirauscht, schallt Christians kräftige Stimme durch das alte Gemäuer: «Bruder Benjamin? Seid Ihr das?»
Man hört ein Stolpern, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, zugleich ein Klirren und Prasseln, als habe jemand sein Sparschwein geschlachtet.
Neugierig betreten Christian und ich den Gang, wo ein sehr junger Ordensbruder eilig sein Kleingeld einsammelt. Beim Sturz hat Bruder Benjamin seine Ersparnisse über den Boden verteilt. Das Tongefäß, in dem er sie aufbewahrt hat, ist zerbrochen.
«Entschuldige bitte meine Eile», sagt der junge Mönch. «Aber Bruder Demetrius hat ein Jahrhundertblatt. Und jetzt werfen wir alle zusammen.»
«Ein Jahrhundertblatt», wiederholt Christian tonlos.
«Ja. Wir spielen Poker. Mit deinem Vater. Das heißt, eigentlich spielt nur noch Bruder Demetrius. Und jetzt hat er deinen Vater endlich so weit.»
«Mit einem Jahrhundertblatt», wiederholt Christian. In seinem Mundwinkel ist wieder das nervöse Zucken zu sehen. «Und du sprichst von Bruder Demetrius, dem Gott, der Herr, im letzten Sommer die Gnade erwiesen hat, neunundneunzig Jahre alt zu werden?»
Ich ahne, dass Demetrius jener Pater ist, den ich auf dem Foto im Klosterprospekt für scheintot gehalten habe.
Der junge Mönch nickt eifrig. «Bruder Jesse glaubt, dass Gott in seiner grenzenlosen Güte uns auf diesem verschlungenen Wege einen neuen Kastenwagen spendieren möchte.» Mit unverminderter Eile kratzt Benjamin sein Kleingeld zusammen. «Könntest du mir vielleicht helfen, Bruder?»
Christian überhört die Frage. Sein Gesicht hat inzwischen die Farbe eines Kardinalshutes angenommen, die Unterlippe bebt in Stärke 8. Entschlossen schreitet er durch den Gang, um die klostereigene Spielhölle auszuheben. Da ich dieses Schauspiel nicht verpassen will, schließe ich mich rasch an und lasse den armen Bruder Benjamin mit seiner Kärrnerarbeit allein.
In der Klosterküche bietet sich uns ein erstaunliches Bild. Die Bruderschaft umringt das Ende einer langen Tafel, an der sich Abel und der greise Bruder Demetrius reglos gegenübersitzen. Beide haben fünf Karten auf der Hand, auf dem Tisch liegt eine beträchtliche Menge Bargeld. Gleich daneben stehen Wein, Bier, diverse selbstgebrannte Schnäpse, außerdem Brandy, Whisky und eine ungeöffnete Magnumflasche Champagner. Die Zuschauer haben sich mit Drinks versorgt, die meisten rauchen, weshalb die Gesellschaft in dichten Qualm gehüllt ist. Mit ein paar zusätzlichen kleinen Veränderungen wäre das hier auch ein prima Nachtclub.
«Seid ihr alle wahnsinnig geworden?», donnert Christian mit purpurnem Gesicht. «Es steht geschrieben: Mein Tempel soll eine Stätte sein, an der alle Völker zu mir beten können …»
«Psst», herrscht ihn ein älterer Pater an. Die anderen nicken schweigend, ohne den Blick vom Spiel zu wenden. Abel schaut irritiert hoch, sieht seinen zornigen Sohn und scheint für einen Moment zu überlegen, ob er das Spiel abbrechen soll. Dann aber wendet er sich doch wieder den Karten zu.
«… Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht», fährt Christian ungebremst fort.
«Jaja. Krieg dich wieder ein, Chris», erwidert ein uralter, buckliger Pater, der sich auf einen Stock stützt und mit der freien Hand einen mehrstöckigen Brandy
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