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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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lallte der Mann und musterte uns von oben bis unten. Aus einer Tür rechts von uns kam eine kleine Frau gewackelt und lächelte. »Haste wieder Frauenbesuch, ja?!« – »Die sinn nich wegen mir hier, glaub ich«, murrte der Mann, seine Mundwinkel zogen sich nach unten, sein breiter Mund sah aus, als habe man ihm einen Schnipsgummi um den Kopf gespannt. »Kann ich euch helfen?«, fragte die kleine Frau freundlich undwickelte sich aus ihrer großen Schürze, während sie hinter den Tresen ging. »Vielleicht ’nen Teller Bratkartoffeln? Grad hab ich frische drin.« Vielleicht hatte Lene genickt, jedenfalls verschwand die Frau wieder hinter der Tür, aus der sie gekommen war, und wir setzten uns an einen Tisch direkt neben der Eingangstür. »Vielleicht kennt die jemanden«, flüsterte Lene mir zu und schaute an den grauen Spitzengardinen und Geranien vorbei zum Wagen. Ihre Finger tippelten auf dem Ledereinband der Speisekarte herum, die eigentlich nur eine A4-Seite in Klarsichtfolie war. »Wir finden schon jemanden«, flüsterte ich und nahm Lenes Hand in meine, natürlich war sie kalt. Mit der Speisekarte hatte sich jemand wirklich Mühe gegeben und alle Schriftarten eines Textverarbeitungsprogramms darauf ausprobiert. Dann wurden zwei Teller mit einem Berg von dunkelbraunen, dampfenden Bratkartoffeln vor uns abgestellt. Lene nahm ihr Besteck nicht einmal in die Hand, das in eine Papierserviette gewickelt in einem kleinen Brotkorb lag, und auch in ihrem Gesicht rührte sich nichts, als stünde kein Teller vor ihr, als wäre ich nicht da und die Kellnerin nicht, als säße sie gar nicht mit mir an einem Tisch. Mit zwei Fingern nahm Lene eine Kartoffelscheibe von meinem Teller, ließ sie aber sofort wieder fallen, weil sie so heiß war. Das Essen dampfte, ich schwitzte auch. »Hab ich dir eigentlich erzählt, dass ich Tim mal photographiert habe, als wir uns noch gar nicht kannten?«, fragte Lene und pustete die Bratkartoffeln an. »Nein«, sagte ich. Aber sie schien gar nicht auf eine Antwort gewartet zu haben, denn sie fuhr gleich fort: »Ich glaube, es war ein Mittwoch. Er hat auf dengroßen Rohren gesessen, die dort auf der Baustelle lagen. Vom Balkon aus konnte ich ihn direkt sehen. Sie verlegten die Rohre neu, rissen die ganze Straße auf, alles lag in Haufen auf dem Bürgersteig herum. Manchmal trafen sich am Abend Jugendliche dort, räumten die Bauzäune beiseite und balancierten auf den Brettern herum. Für Autos hatten sie die Straße gesperrt, Fußgänger wurden durch ein Labyrinth aus schmalen Gängen gelotst. Die Radfahrer ärgerten sich jeden Tag, weil sie absteigen mussten. Und an dem Abend hat Tim dort gesessen, ganz allein auf dem obersten schwarzen Rohr. Ich hatte mir gerade Tee gekocht und die kleine Lampe mit auf den Balkon genommen zum Lesen. Kerzen genügten da nicht. Ich aß Joghurt mit Äpfeln und leckte gerade die Schale aus, da bemerkte ich ihn. Er hatte schön ausgesehen. Ich erkannte ihn gar nicht richtig, aber fand ihn sofort schön. Seine Körperhaltung und dass er so leise gekommen war, dass ich ihn nicht gehört hatte, fast wie ein Geist. Er schien niemanden zu bemerken und wippte manchmal nur ein bisschen mit dem Kopf. In seinen Ohren Kopfhörerstöpsel, die Laterne machte so einen pathetischen Lichtschein um ihn herum. Erst las ich einfach weiter und schaute zwischendurch immer mal wieder auf. Es genügte nicht, mich aufzusetzen in meinem Liegestuhl, ich musste mich schon fast aufrecht hinstellen, um ihn wirklich sehen zu können. Damals hatte er schon diese bescheuerten Schuhe mit den Klettverschlüssen. Ich schaute dann nach jedem Absatz kurz hoch, ob er noch da war. Aber achtete darauf, dass er mich nicht sah. Irgendwie wollte ich nicht, dass er ging. Der Nachbar von gegenüber machteirgendwann den Fernseher aus, das weiß ich noch, da hörte das Flackern dann auf. Und Tim sah ein bisschen verloren aus dort unten. Nicht so, als würde er auf jemanden warten. Eher, als wüsste er nicht, wohin. Und ich stand hinter den großen Pflanzen und schaute ihn an und kam mir bescheuert vor dabei. Er zupfte an seinen Fingern und drehte sich tausendmal eine winzige Haarsträhne ein, während ich neuen Tee in die Tasse goss und die Lampe ausschaltete, damit er mich nicht sah. Ich wollte unerkannt bleiben.« Sie nahm noch ein Stück Kartoffel zwischen Daumen und Zeigefinger, hob es aber nicht zum Mund, sondern ließ es gleich wieder fallen. Dann leckte sie über den Finger und wischte ihn an der

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