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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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geschlossen hatte mit den anderen Kindern, die ebenfalls sechs Wochen lang jeden Morgen um acht das Campingplatzlied aus den Lautsprechern am Wegrand anhören mussten.
    Ich schlürfte gerade meinen letzten Rest Suppe, als Lene ihren ersten Schluck trank. Mir lief die heiße Flüssigkeit langsam durch den Hals in den Bauch, ich spürte jeden Zentimeter, den sie zurücklegte. An meinem Bauchboden machte die Flüssigkeit einen See, der viel zu wiegen schien. Er drückte mich in den Stuhl, als hätte ich einen Anschnallgurt um den Bauch. Als säße ich in einem Flieger und wüsste nicht, was oder wer mich draußen erwartet, ob da jemand steht mit einem Schild, der mich abholt, oder ob sich dieser jemand verspätet oder eventuell auch gar nicht kommt. Von weiter weg hörte ich die Stimmen von Lene und Vince, mein Blick klebte auf dem Stamm einer Pinie, aber eigentlich sah ich aus einem Fenster in ein fernes, großes Blau, auf eine Stadt, deren Häuser und Wäscheleinen auf den Dächern schon zu erkennen waren. Gerade sagte der Kapitän, dass wir nun gleich landen würden, ein paar Passagiere warfen noch ihre Plastikbecher in die dafür vorgesehenen Mülltüten in den Händen der Stewardess. Das Zählgerät, das sie mit sich herum trug, klickte viermal bei jeder Sitzreihe, ihr strenger Zopf schlug bei jeder Wende des Kopfes lautlos gegen ihre Ohren. Und als ich vor dem Aufsetzen die Augenschloss, fragte plötzlich eine männliche Stimme: »Habt ihr mal Feuer?«
    Ich öffnete die Augen, meine Hände hatten sich um die Armlehnen des Campingstuhls gekrallt, Lene und Vince schauten von ihren Schalen auf und sahen ebenfalls diesen grinsenden, langhaarigen, von oben bis unten pudelnassen Typen vor uns stehen, der eine Zigarette in der Hand hielt. »Feuer?«, fragte er erneut, als niemand von uns reagierte. Rinnsale tropften von seiner Hose in den Sand, dann sprang Vince auf, verschwand im Wohnwagen und kam mit einer Packung Streichhölzer wieder zurück. Ich schloss wieder die Augen, denn jetzt müsste es Zeit sein, um das Flughafengebäude näher kommen zu sehen, vielleicht eine andere Landung oder einen Start zu beobachten und zu versuchen, eine Logik in den Fahrlinien der kleinen matchboxähnlichen Autos zu erkennen, die über das Rollfeld huschten. »Dankeschön!«, sagte die männliche Stimme erneut und atmete hörbar tief aus. Er stand also immer noch da, was wollte er denn noch? Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber ich hörte seine Füße im Sand scharren, und dann fragte Lene, ob er zu der Gruppe dort drüben gehöre, die am Nachmittag angekommen sei. Wieso musste sie jetzt ein Gespräch beginnen, wieso konnten wir hier nicht einfach in Ruhe sitzen? Was folgte, war eine genaue Erklärung des Reisewegs von Rostock hier her, war eine Aufzählung von Namen und Abschlussnoten, war eine pathetische Ansprache, die sich um Abschied drehte und darum, dass sie sich danach wahrscheinlich alle nie wieder sehen würden, dass man jetzt noch mal einen draufmachen wolle, ein bisschen Fun habenund so. Ich hörte Lene leise lachen. »Yo, dann danke noch mal. Man sieht sich«, sagte die Stimme des Jungen und ich blinzelte kurz, um zu sehen, ob er sich nun von dannen machte. »Yo. Man sieht sich«, sagte Vince und grinste. Lene hob die Hand zu einem kurzen Winken, und dann war er wieder verschwunden. Das Flughafengebäude war im Nebel untergetaucht, also gab ich auf und sah Vince dabei zu, wie er Spielkarten auf dem Tisch verteilte. Drei Häufchen machte er und deutete uns mit dem Kopf an, sie in die Hand zu nehmen. Als der Himmel dunkelrosa wurde, hatte Lene sieben Spiele gewonnen, Vince fünf und ich vier. Abwechselnd rieben wir uns die Augen, gähnten, aßen Erdnüsse aus einer Packung, deren Design einen Hinweis darauf gab, dass die Nüsse ihr Verfallsdatum eventuell schon überschritten hatten, und zerklatschten Mücken auf unseren Waden. Es wurde nicht viel geredet, manchmal kommentierten wir die Bademode eines vorbeilaufenden Campers, regten uns auf über brüllende Kinder und brüllende Eltern, über zu dicke und zu dünne Bäuche, wir schauten andere Menschen an und waren froh, dass es andere Menschen gab, über die wir reden konnten, die so ein Tamtam um uns herum veranstalteten, dass es einfach war, sich darauf zu konzentrieren und zwischendurch eine passende Karte auf den Stapel in der Mitte zu legen.

    Der Sand unter meinen Füßen wurde kalt. Ich saß noch immer in meinem Stuhl, in meinem Kopf sah es aus wie früher in

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