Und im Zweifel fuer dich selbst
übergingen. Vom Auto aus konnte ich sehen, wie Vince bezahlte. Lenes Kopf wog nicht schwer auf meinen Oberschenkeln. Ein kurzer Blick des Mannes über die Schulter von Vince in unsere Richtung. Aber Vince stellte sich davor, von einem Bein aufdas andere, sodass der Mann ihn anschauen musste, ihm die Hand zum Abschied gab und die Tür von innen schloss.
»Dann fahren wir mal«, sagte Vince, als für einen kurzen Moment im Auto nicht mehr zu hören war als ein fernes Rauschen, ein leises Atmen und das Klimpern des Autoschlüssels. Es tat gut, mit der Stirn an der kühlen Scheibe zu lehnen, leichter Wind wehte mir ins Gesicht während der Fahrt. Wohin es ging, wusste ich nicht, Vince bog ein paar Mal links und rechts ab, wir fuhren zehn Minuten auf einer schmalen, asphaltierten Straße geradeaus, bis wir an einem kleinen, weißen Häuschen in einem Wald zum Stehen kamen. Vince stieg aus, und ich sah mich um. Zwischen den Wurzeln der Nadelbäume kam immer wieder weißer Ostseesand zum Vorschein, die Pinien und Lärchen wogten sanft hin und her. Ein paar Autos parkten in unserer Nähe, eine Schlange von Menschen wartete vor dem weißen Häuschen. Hin und wieder kam einer heraus, nur in Badebekleidung und mit einem Zettel in der Hand. Etwas Gepäck stand neben der Tür, ein Hund steckte seine Nase in die Regenrinne. Die Wartenden schienen relativ schnell voranzukommen, und es dauerte nicht lange, da war auch Vince in dem Haus verschwunden. Der Rest ging irgendwie automatisch, der Weg über den sandigen Waldboden, das Erstaunen, als Vince ganz selbstverständlich einen Wohnwagen ansteuerte, der zwar aussah wie alle anderen, für den er jedoch einen Schlüssel hatte. Und als ich Lene ansah, wie sie sich an die Pinie lehnte und ihre Augen unter der Kapuze hervorguckten, glaubte ich, dass sie besser aussah als noch vor ein paar Stunden. Wir standen auf unseren Füßen, machten damitSpuren in den Sand, und vielleicht lag es auch nur daran, dass der Wind hier plötzlich ein bisschen frischer wehte, dass um uns herum wieder Menschen waren, ich konnte den Grund nicht genau ausmachen, aber ich lächelte kurz.
Im Innern des Wohnwagens schien es alles zu geben, was wir in diesem Moment brauchten, zum Leben und füreinander. Und wenn man den Kopf aus der niedrigen Tür nach draußen streckte, konnte man auf die Hügel der Dünen sehen und das Meer hören. Um uns herum hatten Familien ihre Lager aufgeschlagen, ihre Dörfer gebaut, als blieben sie Jahre und nicht nur einen Sommer. Alle hatten sich eingerichtet, die Territorien waren klar abgesteckt durch Zäune aus toten Bäumen, durch bunt gestreifte Windschutzlaken und liebevoll verzierte Sandburgen. Jeder wusste, wo er hingehörte. Und der kleine Platz im Schatten, dessen Boden vollkommen mit Nadeln und Pinienzapfen übersät war, gehörte zu uns. Schilder wiesen die Richtung zu den Kochstellen, Duschen und Klohäuschen, zum Bäcker und einem Fischrestaurant. Ich sah, wie Vince aus einer Luke im Wagen einen Campingtisch und ein paar passende Stühle hervorholte. »Können wir irgendetwas tun?«, fragte Lene, als sie aus dem Wagen kletterte. »Ich gehe mir gerade selbst auf die Nerven.« Vince nahm Lene an der Hand, zusammen gingen sie noch einmal zum Auto zurück, um unsere Taschen zu holen. Ich machte ein paar Schritte um den Wohnwagen herum, die Sonne war wieder hinter den Wolken hervorgekommen, ich dachte, dass es Friedrich hier zu lautund zu voll gewesen wäre, und zerrte mein Handy aus der Hosentasche, um ihn anzurufen. Mein Magen knurrte laut. Und als ich seinen Namen im Telefonbuch suchte, gab der Akku des Telefons den Geist auf und schaltete es ab. Vom Sand waren meine Fußsohlen ganz dunkel geworden. In meiner Brust suchte ich nach dem Schmerz, aber alles, was ich fand, war ein stiller Luftzug. Ich war beinahe erleichtert.
Schnaufend kamen sie zurück, die Taschen in den Händen und Schweißperlen auf der Stirn. Vince hatte sich die Hosen hochgekrempelt, aus den Falten rieselte weißer Sand. Es hätte eine Szene aus einer Komödie sein können, aus einem Heimatfilm, in dem die Familie nach langen Strapazen endlich an ihrem Feriendomizil angekommen war. Lene streckte die Arme zu den Seiten aus, die Henkel der Taschen noch mit den Fingern umschlossen. Sie hatte nicht genug Kraft, um die Ellbogen durchzudrücken, das Zittern der Armmuskeln schüttelte ihren ganzen Körper, aber sie hielt ein bisschen aus, zwanzig Sekunden vielleicht, mit geschlossenen Augen. Und dann
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