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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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meinem Kinderzimmer, es gab nur ein paar frei geräumteWege von der Tür zum Fenster, zum Bett, zum Kleiderschrank und zum Schreibtisch. Der Rest war unbegehbares Territorium, Gerölllandschaft, heilloses Durcheinander, in dem Müll und Brauchbares, Dreckiges und Sauberes auf den ersten Blick nicht voneinander zu unterscheiden waren. Ich war froh über die Wege und kümmerte mich nicht viel um den Rest, ich blieb sitzen und aß eine Nuss und hielt mein schweigendes Telefon in den Händen, als ob der Akku plötzlich wieder zum Leben erwachen könnte. Es wehte kaum noch ein Wind, eine kratzende Wolldecke schützte mich halbwegs vor den Angriffen der Mücken, ich versuchte mich im Bau eines Kartenhauses und zerstörte die Arbeit einer Viertelstunde mit einer falschen Fußbewegung unter dem Tisch. Da hörte ich Lene lachen. Sie saß drüben bei den Jugendlichen, seit einer Weile schon, sie nahm immer mal wieder große Schlucke aus der Flasche, die herumging, sie schaute in das orangefarbene Licht der Fackeln, die in der Mitte des Kreises aus Menschen aufgestellt worden waren, und sie schüttelte sich, nachdem sie den Schnaps heruntergeschluckt hatte. Die Mädchen saßen zusammengekauert auf der einen Seite, eines hatte sich auf den Schoß eines Jungen gesetzt, der eine Hand unter ihre kurze Jacke geschoben hatte, zwischen Hosenbund und Jackenrand war genau eine Handbreit nackte, weiße Haut zu sehen. Wenn Lene nicht gerade trank, sondern ihren Kopf auf ihren Knien ablegte, sah sie jünger aus, erinnerte sie mich an früher, gerade zwischen all den Jugendlichen. Wahrscheinlich hätte niemand bemerkt, dass sie eigentlich älter war, wenn er zufällig vorbeilief und einen kurzen Blick auf die Gruppewarf, wahrscheinlich wäre sie ihm gar nicht aufgefallen. Und wahrscheinlich war es genau das, was sie sich gerade wünschte.
    Dennoch: Es war ein seltsames Gefühl, dass sie das mit uns nicht konnte. Vince saß hinter ihr auf der Decke und sagte nichts und starrte auf die Schatten im Sand, und manchmal, wenn sie besonders schrill und laut lachte, legte er ihr eine Hand auf den Rücken, und wenn sie ihn verwundert ansah, lächelte er, nur ein bisschen, aber so, dass sie ein wenig leiser wurde.
    Ich holte meine Jacke aus dem Wohnwagen und ging noch einmal ans Meer, meine Füße versanken im kühlen Dünensand, dessen obere, dunklere Schicht hart war, wie eine Kruste, durch die man brechen musste, um im weißen Zuckersand zu landen. Manche Zelte leuchteten von innen, Schattengestalten zogen die Reißverschlüsse ihrer Schlafsäcke zu, es war dunkel geworden. Manchmal blitzte irgendwo eine Taschenlampe auf. Vom Meer sah man kaum etwas, das Rauschen schien jedoch lauter als am Tage, die Schaumkronen sah man vereinzelt. Ich ließ mich nach hinten in den Sand fallen und sah statt Wolken nur Sterne. Die Luft war so feucht, dass ich für einen Moment glaubte, es würde regnen.

    Wenn es in der Stadt von den Dächern tropfte, wusste ich, dass Friedrich keine fünf Minuten entfernt war. Wir hatten uns gerade kennen gelernt, die erste Euphorie war längst nicht vorüber, aber dieses Ritual behielten wir auch späterbei. Die zarten Tassen hatte er von seiner Großmutter geerbt. Eine schmale Linie aus einem roten und einem goldenen Streifen zog sich über die Ränder, und nie passte das Rot zur Farbe meiner Nägel, zu meinem Kleid oder meinen Schuhen oder meinem Lidschatten oder meinem Lippenstift. Es war ein Rot, das mir nirgendwo anders begegnete als auf diesen Tassen. Und die Tassen schienen immer zu klein und zu zerbrechlich zu sein für unsere Hände, selbst für meine. In der Erinnerung schien es wirklich immer zu regnen, wenn wir Tee tranken. Ob wir den Tee nach dem Wetterbericht ausrichteten oder ob der Regen irgendwelche Hormone in uns freisetzte, die uns Lust auf warme Tassen in den Händen machten, wusste ich nicht mehr auseinander zu halten. Manchmal legte er sogar das Tischtuch auf, das er von seiner Großtante geschenkt bekommen hatte, zusammen mit einem Porzellanelefanten, zwei Teekannen und einen Umschlag mit Geld und Briefmarken. Die Briefmarken klebte Friedrich auf Postkarten, die er der Großtante manchmal schrieb, sie erkannte die Motive wieder und freute sich erneut, und das wiederum freute ihn, auch wenn er angestrengt seufzte nach einem Telefonat mit ihr. Sie weinte jedes Mal, wenn sie ihn hörte. Er hörte dann auf zu sprechen, lief in der Wohnung auf und ab, machte Schränke auf und zu und wartete, bis sie sich

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