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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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beruhigt hatte. Friedrich konnte mit so etwas noch nie umgehen. Es kam vor, dass er zehn Minuten oder eine Viertelstunde am Stück schwieg, aber er legte nie auf. Dann stellte er die Tassen mit den schmalen Henkeln abwechselnd auf alle Veilchen, die auf der Tischdecke zu sehen waren, nacheinander. Die Blumensahen aus wie draufgestreut, und als ich die Decke zum ersten Mal sah, gefaltet neben der Waschmaschine, da dachte ich, er habe eine Freundin. Da dachte ich, ich müsse jetzt gehen, denn es sei nicht angemessen hier zu sein, wenn ihm seine Freundin eine so bezaubernde Decke schenkt und wahrscheinlich noch bügelt, und dann erzählte er mir die Geschichte seiner Großtante, und später warf er eine Karte an sie in den Briefkasten, als er mich nach Hause brachte. Wir beließen es dabei, bei dem Schweigen, dem leisen Schlürfen, den Blicken aus dem Fenster und dem Beobachten der verschiedenen Formen, die so ein Regen annehmen kann. Manchmal öffneten wir das Fenster, es zog kalt ins Zimmer, und wir hielten die Tassen in unseren Händen statt der Hände des anderen. Hätte man reden wollen, hätte man lauter sprechen müssen als sonst oder nah aneinander rücken. Wir konnten immer dann reden, wenn es nieselte und draußen leiser wurde. Aber nie, wenn ein Sturm kam. Und das genügte uns zwei Jahre lang.

    Irgendetwas kam näher, irgendetwas legte an Geschwindigkeit zu und kam direkt auf mich zu gerannt, die Grillen zirpten nicht mehr und auch die Wellen schienen mit der aufziehenden Kühle leiser geworden zu sein. Schnelles Aufschlagen von Füßen auf Sand, und jetzt hörte ich hektischen Atem, dann huschte jemand an mir vorbei. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich das Schniefen erkannte, die leicht nach innen fliegenden Füße im Lauf, bis ich mich aufgerappelt und die Knie durchgedrückt, den Schmerz in der Hüfteverdrängt hatte. Ich erkannte die wirren Handbewegungen, den nach vorne gestreckten Oberkörper, als würde Lene sich in der Luft abstützen wollen, die vielen Haare, die ihr sicherlich ins Gesicht hingen. Lene rannte barfuß, fiel an der Brandung beinahe in den Sand, aber sie hatte mich nicht einmal bemerkt, glaube ich, denn unbeirrt wankte sie schluchzend weiter in Richtung Leuchtturm. Mit der rechten Hand versuchte sie, sich die Kapuze des Pullovers über den Kopf zu ziehen, erwischte mit dem Ruck ein paar Haare und schrie schrill auf. Und obwohl sich außer uns und den Wellen nichts zu bewegen schien, war es laut, mir platzten beinahe die Trommelfelle vom Geräusch ihrer Schritte, ich lief hinterher und atmete mir selbst ins Gesicht, meine Füße verloren jedes Gefühl für spitze Muschelstücke oder gefährliche Kuhlen im Sand. Ich rannte ihr hinterher, die Augen weit aufgerissen, versuchte den Uferstreifen vorne am Wasser zu erreichen, ohne dabei Abstand zu ihr zu verlieren, denn vorn lief es sich besser auf dem nassen Untergrund. Sie war schnell, obwohl sie viele Schlenker machte, sie hatte Kraft. Aber irgendwann, als das Licht des Zeltplatzes uns schon nicht mehr erreichte, an der Stelle, wo der Wald bis an den Strand reicht und das Naturschutzgebiet beginnt, holte ich sie ein, packte ihre Kapuze, danach einen Zipfel von ihrem Pullover, und wieder schrie sie. Dieses Mal wohl vor Schreck. Und ich schrie auch, weil ich dachte, sie hatte mich schon kommen gehört. Lene wehrte sich und brüllte mir ins Gesicht, ich versuchte, ihre boxenden Arme irgendwie zu bändigen, ihren Füßen auszuweichen und dabei das Gleichgewicht zu behalten. Und dann auf einmal war es still. Nurunser lautes Atmen blieb zurück, ich nahm nicht einmal mehr das Meer wahr, aber es tropfte auf meine Hände, und beim Abwischen meiner Nase merkte ich, dass das nicht nur Tränen waren, sondern auch Blut. Ihre Knie knickten ein, und dann sank der ganze Körper in sich zusammen, sie saß auf ihren Füßen und hatte den Oberkörper auf ihren Oberschenkeln liegen, als habe sie jemand wie ein Taschenmesser zusammengeklappt, wie ein Blatt Papier gefaltet. Ich tastete nach ihr, meine Augen gewöhnten sich erst nach und nach an die Dunkelheit hier am Ende des Strandes. Lene war barfuß, ihr Gesicht verklebt, ihr Rücken senkte sich schnell auf und ab. »Was ist denn passiert?«, fragte ich und kam mir im nächsten Moment entsetzlich bescheuert vor.
    Alles war passiert. Und jetzt kam es aus ihr heraus.
15
    Während wir ihren Kuchen essen, steht sie am Fenster und sieht sorgenvoll hinaus. Ich hatte vorher gewusst, dass sie kaum etwas sagen

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