Und immer wieder Liebe Roman
Schwachkopf? Hat jemals jemand behauptet, dass Lesen eine beruhigende Angelegenheit sei? Kundera ist ein ganz Großer, sicherlich, aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich flüchte ins Bad; mir bleibt die Luft weg. Die Unwissenheit führe ich vermutlich gar nicht, bei allem Respekt vor dem Autor. Ich habe es nicht gelesen und kann auch nicht begreifen, warum es Frontini so wichtig ist, ausgerechnet diesen Titel vorzustellen. Er ist glücklich mit seiner ehemaligen Sekretärin Ermina verheiratet, die nun schon seit Jahrzehnten nicht mehr seine Sekretärin ist, und wirkt eigentlich vollkommen zufrieden. Sicher ist er eine treue Seele, und meine – völlig unangemessene – Reaktion ist nur ein Zeichen von Schwäche. Dieser Lesemarathon erschöpft mich.
Seufzend kehre ich zu meinem Platz an der Kasse zurück und hoffe, dass Irena inzwischen zu hecheln aufgehört hat. Mondo trottet um mich herum und hechelt nun seinerseits. Ich gebe ihm
einen Keks, und er tröstet mich mit seiner feuchten Zärtlichkeit, einmal den Unterarm rauf und runter. Alter macht empfindlich, das muss er gespürt haben.
Die Kirchturmglocke schlägt Mitternacht, die Zahlen begeistern Alberto, der sich bereits an die Abrechnung gemacht hat.
»Wir sollten öfter einen solchen Lesemarathon veranstalten, Emma«, sagt er und sieht mich dann misstrauisch an. »Geht es dir auch gut, Liebes? Du bist so blass.«
»Ich bin nur erschöpft, aber ich gebe ja auch die ganze Zeit Bons aus: für einhundertsiebenundzwanzig Tees, zweiundsechzig frisch gepresste Fruchtsäfte, zehn heiße Schokoladen ohne und vier heiße Schokoladen mit Sahne – in Anbetracht der Jahreszeit ist das ein Rekord! -, für Limonaden, Fruchtsäfte und Sirupgetränke. Außerdem habe ich sechs »RUHE... ICH LESE«-Tassen verkauft. Hallo, Camillo. Sag bloß nicht, dass sie dich auch in diesen Rummel reingezogen haben.«
»Ich schäme mich wie ein Dieb, Emma. Alice hat mich überredet, aber jetzt, wo ich hier bin, ist mir überhaupt nicht mehr danach. Verdammt, das ist ja total voll hier. Was passiert, wenn mich jemand erkennt? Andererseits ist der Liebhaber einer verheirateten Frau nicht sehr interessant, da heißt es eher ›Hilfe, mein Ehemann! ‹. Auf wen bezog sich das noch mal?«
»Ich erinnere mich nicht mehr. Das ist aus einem Film, glaube ich. Vielleicht schaffst du hier den Durchbruch und kannst eine neue Karriere starten. Du trittst offensichtlich zusammen mit Margherita auf, sehe ich gerade. Sie scheint auf dich zu warten. Komm schon, jetzt entspann dich. Hier kennt dich niemand. Was lest ihr denn Schönes?«
»Wir sind Chopin und George Sand, stell dir vor.«
»Als Arzt bist du sozusagen prädestiniert, die Rolle des kranken Genies zu übernehmen.«
»Ich war mal mit Laura in ihrem Haus auf Mallorca, als wir noch ein Paar waren...«
»Jetzt fang nicht wieder mit deiner Ehe an.«
»Nein, ich wollte nur eine Geschichte erzählen, die dir gefallen könnte. Chopin und Sand waren bei den Mallorquinern ziemlich verhasst. Stell dir vor, nicht einmal das berühmte Klavier, das man in Valdemossa bewundern kann, ist noch das Original, geschweige denn das Bett, in dem der Komponist geschlafen hat. Sobald die beiden die Insel verlassen hatten, sind sämtliche Möbel und Kleider mit der Begründung, dass er an Tuberkulose leide, verbrannt worden. Heute macht man Geld mit den Relikten derer, die man einst verachtet hat. Das nenne ich Tourismus aus zweiter Hand.«
argherita und Camillo betreten das Podium so ungeschickt, dass sie sofort aufmunternden Applaus bekommen. Gabriella hilft mir beim Einpacken. Sie hat mir gefehlt, meine sprechende Grille. Ich brauche sie jetzt, da ich das Kneifen in meinem Magen spüre und den Grund nicht begreife. Oder doch, ich begreife ihn schon. Alle sind heute hier gewesen, nur Federico ist weit weg und beaufsichtigt Handwerker. Das ist ungerecht, und es fällt mir schwer, auf Kommando locker zu sein.
»Ich habe immer gedacht, dass die Leute, die zu viel über Sex reden, zu wenig davon haben«, sagt sie nun, ohne dass ich ihr den geringsten Anlass dazu gegeben hätte.
»Sie reden nicht über Sex, sie lesen über Sex vor .«, korrigiere ich sie und füge unwillig hinzu: »Für mich gilt das nicht, wenn es das ist, was du sagen willst. Seit wann kannst du dich eigentlich dafür begeistern, Päckchen zu packen?«
»Als Kind war das meine Lieblingsbeschäftigung, wenn wir Kaufladen gespielt haben.«
»Weil Alberto an der Kasse stand, nehme ich
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