Und immer wieder Liebe Roman
preisgeben. Früher oder später musste das ja passieren. Jetzt müssen wir uns mit dem Thema auseinandersetzen und das Wort »Zukunft« in den
Mund nehmen. Nur dass es aus dem Mund zweier Knappüberfünfzigjähriger nicht glaubwürdig klingt. Wenn man nicht schnell zugreift, gibt es sie vielleicht nicht mehr, die Zukunft.
»Es ist spät. Wir haben uns spät getroffen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Briefe zu all dem hier führren würden. Ich bin naiv, oberflächlich, und mit dir zu diskutieren... Okay, es ist absurd, und es gefällt mir nicht im Geringsten. Mein Vater hat nie darüber sprechen wollen. Ich wollte das Thema auch nicht wieder aufwärmen. Sie war tot, Schluss, aus. Ich weiß nicht einmal, woran sie genau gestorben ist. Es war von einer Herzkrankheit die Rede, von etwas Angeborenem. Ich habe mich nie erkundigt und nie mein Recht auf Information geltend gemacht. Ich schütze mich vor dem Risiko, noch einmal verlassen zu werden. Vermutlich ist es das. Ja, ich glaube, so ist es.«
»Du bist nicht frei.«
»Letztlich bin ich es, Emma. Es steht mir frei zu sagen, dass ich mit dir zusammen sein möchte. Ich musste meinem Vater beweisen, dass ich sein Geld nicht brauche. Was ich nicht begriffen hatte, war, dass ich es meiner Mutter beweisen wollte, dieser ebenso geliebten wie gefürchteten und verhassten Person. Von diesem Modell hätte ich mich lösen müssen. Anna war praktisch für ein Lebensprojekt, in dem ich im Mittelpunkt stand. Ich habe den Stand der Dinge selbst begünstigt, und nichts hat je den geregelten Gang unserer Existenz gestört. Anna möchte in meinem Schatten leben. Das bedeutet für sie Glück. Für mich allerdings gibt es jetzt nur noch Sarah. Der Rest stürzt in sich zusammen, wer weiß, wohin.«
»Ich bin also die letzte Gelegenheit, wie beim Ausverkauf.«
»Die einzige, Emma.«
»Halt mich fest. Und lass uns nicht mehr darüber reden.«
Das Salz auf der Schulter, die Haare, die nach vorne fallen, als
ich mich auf diesen Körper herablasse, der so viel größer ist als der meine, die harten Brustwarzen in seinen Handflächen, sanft, leicht, als würde uns das Alter die Leidenschaft verbieten, die den Körper beherrscht, wenn man sie nicht kontrolliert, diese so vertrauten und doch nie erlernten Bewegungen, die Fingerkuppen, die mit einer zarten Geste meine Tränen trocknen, von innen nach außen über meine Augen wischen und doch nicht verhindern können, dass Tränen auf seine Brust hinabtropfen. Seine Augen ruhen in den meinen und ich in seinen Armen.
»Du zitterst ja.«
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Halt mich einfach nur fest. Mir fällt es schwer zu begreifen, warum eine so alte Geschichte mich so berührt.«
»Wir müssen uns etwas schenken, Emma.«
»Was?«
»Wir müssen versuchen, ohne den Hauch einer Lüge auszukommen. Was auch immer passieren wird – es kann es uns Halt geben.«
Belle-Île ist eine Insel mit Steigungen und rauen Klippen, aber auch eine Insel voller Wut, Angst und Stolz. Vor dem Haus neben der Steinmauer parkt der Méhari. Gelb diesmal, mit einem Schiebedach, das sich schwer öffnen lässt.
Am Hafen wartet derselbe Junge wie bei der Hinfahrt: »Heute Nacht hat es geregnet, das Meer stand sehr hoch.« Und wir haben nichts gemerkt. Wir gehen an Bord der Locmaria und lassen unsere Hände nicht los. All das muss ein Ende haben, so vieles endet irgendwann. Das Päckchen liegt unten im Koffer. Federico hätte es fast vergessen.
»Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, wegen der Kleckse in den letzten Briefen.«
»Ein Füllfederhalter! Mein erster Montblanc!«
»Das Modell ist vielleicht ein bisschen maskulin, aber ich konnte nicht widerstehen: Schließlich hat er uns Glück gebracht.«
Ich starre auf die limitierte Edition der Serie »Patron of Art«. Sie heißt »Hommage à John Pierpont Morgan«. Mit der schwarzsilbern gezackten Kappe ist es tatsächlich ein männliches Modell. Das goldene M, das in die Feder eingelassen ist, erinnert an das Erbe des Magnaten: die Morgan Library.
»Ich werde ihn nur benutzen, wenn ich an dich schreibe«, sage ich großzügig. Und weiß bereits jetzt, dass es eine Lüge ist.
Auf der Locmaria wenden wir uns dem Meer zu, wo jetzt Ebbe herrscht. An der Landschleife rechts vom Leuchtturm von Sauzon liegen Segelyachten und Schlauchboote schräg im Schlamm, Relikte privater Schiffbrüche. Die Möwen werfen sich im Sturzflug auf die Pfützen, Geier der Zivilisation auf der Suche nach
Weitere Kostenlose Bücher