Und immer wieder Liebe Roman

Kümmert sich Deine Sarah auch um nichts als Oberflächlichkeiten? Entschuldige meinen Ausbruch, aber in der Buchhandlung herrschte heute eine gereizte Stimmung. Mattia hatte sich mit seinem Vater gestritten, und das Ganze war zu einer ideologischen Diskussion ausgeartet, weil Michele es gewagt hatte, Mattia danach zu fragen, wie er sich seine Zukunft vorstelle. Eine berechtigte Frage, da unser Sohn es sich in den Kopf gesetzt hat, bei dem Architekten Monzini ein Praktikum zu machen, während Michele denkt, er soll studieren, und Feierabend. Mattia kommt mit seinen Prüfungen gut zurecht, aber wenn Du mit ihm über Architektur reden würdest, glaube ich, dass Ihr sehr weit voneinander entfernt wärt. Er hat überhaupt keine Ideale. Seinem Vater hat er gesagt, dass er studiert, um später Geld zu verdienen. »Ich werde Städteplaner«, hat er gesagt. »Ich möchte nicht irgendwelchen reichen Ignoranten ihre Häuser bauen.« Sie sprechen zu viel vom Geld, die Kinder, das gefällt mir nicht.
    Manchmal ist es schwieriger, Mutter zu sein als Buchhändlerin.
    Deine Emma
     
    P.S. Du bist jetzt bei mir, da bin ich mir sicher. Du liegst neben mir, und wir hören das Meer rauschen. Ich rieche es. Du auch?

     
     
    New York, den I . Juni 2004
Ort des Friedens Nr. 9, Gramercy Park
     
    Liebe Emma ,
    wir machen einen Fehler, wenn wir unsere Kinder betrachten, als würden wir in einen Spiegel schauen. Wenn sie wüssten, dass wir uns schreiben und unsere Briefe in einem Postfach aufbewahren, würden sie uns höchstwahrscheinlich für übergeschnappt halten. Du siehst: Alles hängt vom Standpunkt ab. Sarah streitet sich vor allem mit Anne, ich bin immer noch ein Objekt mythischer Verehrung, aber auch sie lebt in ihrer Gruppe von Freunden und fühlt sich nur dort sicher. Ihre männlichen Freunde, die zu uns nach Hause kommen, sind alle schön und gut gelaunt, sie tragen Jeans und Kapuzenshirts, in denen sie wie Bankräuber aussehen. Sie wollen ununterscheidbar sein, und der Einheitslook gibt ihnen das Gefühl, anders zu sein als wir, die Eltern. Wir waren genauso, Emma. Wir hatten lange Haare, ungepflegte Bärte (ich zumindest – Deine Haut war so zart wie ein Pfirsich) und trugen grauenhafte Schlaghosen. Jeder Befehl meines Vaters brachte mich auf die Palme, und ich dachte, die Architektur würde mein Leben verändern. Deshalb sollten wir besser schweigen. Nur das noch zum Trost: Die Gehirnforschung, so schreibt der New Yorker Neurologe Elkhonon Goldberg in Die Weisheits-Formel, hat kürzlich herausgefunden, dass das menschliche Gehirn nach fünfzig Jahren plastischer ist als das Gehirn eines jungen Menschen, es besitzt eine größere Fähigkeit, sein Referenzsystem zu ändern. Unsere Kinder sehen den Baum im Wald und verändern ihn, wir aber sehen den Wald und... wünschen uns nur, ihn zu verändern. Was die Technik betrifft und die Macht, die sie Deiner Meinung nach auf unsere Kinder ausübt, so täuschst Du Dich meiner Ansicht nach. An der Geschichte, dass sie uns verkümmern lässt und in die Substanz unseres Denkens eingreift,
ist nichts dran. Nimm uns Architekten. Die ersten Linien eines Projekts zieht man mit der Hand. In dieser Skizze ist bereits alles vorhanden. Auch Deine geliebte Morgan Library wurde so geboren. Die Technik spart uns eine Menge Zeit, und ich kann Dir versichern, dass Respekt gegenüber der Vergangenheit ganz schön viel Arbeit bedeutet.
    Mir ist es wichtig, dass Sarah nicht von dieser zerstörerischen Melancholie aufgefressen wird, die mich zeitweise so beutelt. Ich möchte sie glücklich wissen und nicht in meinen Gemütszustand hineinziehen, der nach wie vor schwankt. Wenn ich doch nur Deine Fähigkeit zum Vergessen hätte! Du bist die Expertin, Du könntest es mir beibringen.
    Die Erinnerungen nehmen mich in Besitz, sie verwirren und lähmen mich. Nur auf der Baustelle bin ich glücklich ohne Dich, dort bin ich Zeuge eines Films, der gezeigt werden muss. Im Bett dann, wenn die Lichter gelöscht sind, muss ich zurückschalten und die gerechte Strafe erleiden, dieses Gefühl des »am Tag danach«.
    Federico
     
    P.S. Mach Dir wegen Mattia keine Sorgen. Vor allem aber: Lass ihm seinen Traum von der Stadtplanung. Der Rest wird sich schon fügen.
    P.P.S. Wie gut ich darin geworden bin, Deine Gedanken umzuformulieren und zu »entschärfen«, oder?
     
     
    Die ersten Seiten, die ich in Büchern immer lese, sind die Danksagungen. Widmungen interessieren mich weniger, sie sind zu allgemein und oft zu