Und immer wieder Liebe Roman
die ganze letzte Nacht darüber gesprochen. Aber das Wichtigste ist, dass er mir von den Umständen unserer Trennung damals erzählt hat. Wusstest du, dass es seine Mutter war, die mich gehasst hat, und nicht etwa sein Vater?«
»Ja, auch wenn ›hassen‹ vielleicht ein zu starkes Wort ist. Was für eine Schande, die letzte Nacht mit Reden zu verschwenden. Woher weißt du eigentlich, dass er dir nicht irgendeinen Blödsinn erzählt?«
»Ich würde es in seinen Augen sehen, wenn er lügt. Aber warte mal, du hast das allen Ernstes gewusst und mir nie etwas gesagt? Du bist eine ganz schön dumme Kuh, weißt du das?«
»Vater oder Mutter, was macht das schon für einen Unterschied? Er war ein oberflächliches Millionärssöhnchen und hat dem Druck seiner Klasse nicht standgehalten.«
»Du hältst mich garantiert für eine Idiotin und denkst heimlich,
dass diese Geschichte zu nichts, aber auch zu gar nichts führt. Na ja, und vielleicht hast du ja recht: Ich schreibe ihm nie von meinen Sorgen. Wenn wir uns sehen, blenden wir alles, was zwischen uns steht, schnell aus. Weg mit den schmerzlichen Erfahrungen. Wir wollen glücklich sein.«
»Ich denke überhaupt nicht, dass du eine Idiotin bist, Emma. Federico scheint dir sogar gutzutun. Die Umstände eurer Beziehung sind trotzdem merkwürdig.«
»Im Roman wärst du die Stimme des Erzählers, der ganz anderer Meinung ist als die Hauptfigur. Eine mäkelige Autorin, das wärst du.«
»Versteck dich doch wenigstens mir gegenüber nicht hinter Büchern, Emma. Mein Problem ist, dass ich nicht verstehe, was für einen Sinn das hat, wenn man sich nur einmal im Jahr sieht, nie telefoniert und so eine Inszenierung veranstaltet wie ihr mit euren pathetischen Briefen. Ihr scheint direkt dieser Komödie zu entspringen... wie hieß sie noch mal? Du weißt schon, diese Geschichte von zwei Leuten, die sich einmal im Jahr immer im selben Hotel treffen. Wir haben das vor ein paar Jahren zusammen im Theater gesehen.«
»Nächstes Jahr – Gleiche Zeit , eine Komödie von Bernard Slade.«
»Genau. Und wie ist es dann weitergegangen, nachdem er dir von seiner Mutter erzählt hat?«
»Es ist nicht weitergegangen, Gabri. Die Dinge sind, wie sie sind, alles bleibt beim Alten, und es ändert sich nichts. Wenn er seine Frau nicht mehr liebt, geht mich das nichts an.«
»Und ob dich das was angeht. Er behauptet, dass er dich liebt, und tut nichts, um die Situation zu ändern? Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Für mich sagt das doch schon alles.«
»Glaubst du wirklich, dass er mich liebt? Sich wie Jugendliche
am Wort ›Liebe‹ festzubeißen, ist doch Zeitverschendung. Dann fahre ich fort, nüchterner. Weißt du, ich habe nicht das Gefühl, dass ich in Konkurrenz zu jemandem stehe, erst recht nicht zu einer Frau, die ich noch nie gesehen habe. Ich lebe eben von Tag zu Tag, und es geht mir gut dabei. Darüber hinaus habe ich keine Pläne.«
»Das ist doch einfach nicht wahr, dass du keine Pläne hast. Es ist eher so, dass du nicht weißt, welche Pläne du machen kannst in diesem Zustand der Dauerverliebtheit und des ewigen Wartens.«
Die Zeit, die man braucht, um meinen Haaren ihr »natürliches« Kastanienbraun zurückzugeben und das ihre mit aschblonden Lichtreflexen zu versehen, nutze ich, um ihr alles zu erzählen. Von Federico zu sprechen, ist allerdings, als würde man jemandem, der nicht dabei war, Urlaubsdias zeigen. Man kann den Zauber einfach nicht erklären. Den Bildern fehlt die Seele.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal Sex am Strand hatte. Sicher musste ich mir damals noch nicht die Haare färben.«
Mailand, den 18. Mai 2004
Gasthaus zur Lust und zur Liebe
Lieber Federico,
ich rege mich wahnsinnig über Mattia auf. Wir haben damals in der Wir-Form gedacht. Die Generation heute kennt nur das Wörtchen »ich«. Er lebt mit Carlotta zusammen (und das läuft scheinbar wunderbar), aber er hat nicht das geringste Gespür für das, was um ihn herum passiert, und damit meine ich noch nicht einmal die Welt. Ich meine sein Land, Mailand, seine Umgebung. Sein Mantra ist »Erreichbarkeit« und »online sein«. Das Handy
ist sein Fühler zur Außenwelt, der iPod sein Verhängnis. Wenn man ihn nach dem Irakkrieg fragt, zuckt er nur die Schultern. Wir hatten höchstens einen Walkman und sind noch in Konzerte gegangen. Die Jugend von heute steckt sich ihre Gefühle ins Ohr und lebt sie allein aus. Ich verstehe das alles nicht.
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