Und immer wieder Liebe Roman
Fischresten. Ein Mann mit einer Haut wie Holz und einer blauen Öljacke, die nackten Beine in großen Gummistiefeln, hält ein Netz in der rechten Hand und einen Eimer in der linken. Er sammelt Schnecken fürs Abendessen. Ein Katamaran mit gelbem Segel ist im Schlamm gestrandet. Er wartet auf bessere Zeiten, auch er. Wir verabschieden uns von Annick Bertho, die uns gemeinsam mit ihrem Jilles vom Kai aus hinterherwinkt. Und es kommt uns ein wenig vor, als würden wir uns von einer Welt verabschieden, von der wir nicht wissen, ob wir sie je wiedersehen werden.
Das Leid der Frauen mittleren Alters hat einen unschönen Namen: »Menopause«. Sichtbarstes Anzeichen unseres körperlichen Verfalls ist das graue Haar. Wir Dunkelhaarigen haben es besonders schwer – Blondinen können ihr graues Haar besser kaschieren.
Haarefärben deprimiert mich immer wieder von neuem. Die Illusion, nach einem Friseurbesuch den Sieg davongetragen zu haben, hält nur wenige Wochen an, dann kehrt das Weiß wie ein frisch gemalter Strich auf dem Zebrastreifen wieder. In der Werbung färben sich Frauen die Haare, während sie den Braten vorbereiten, mit der Mama telefonieren oder noch einmal den Text für eine Konferenz durchgehen. Mir gelingt das nicht. Mir ist es einzig gelungen, zwei in irgendwelchen Hotels geklaute Luxusbademäntel zu ruinieren, die nach der zeitaufwendigen Prozedur wie Dalmatiner aussahen. Um meine Haare kümmert sich seitdem Dino, ein junger, großer und ewig braungebrannter Damenfriseur aus der Via Mazzini: »Braun macht die Gesichtskonturen hart, Emma«, hat er neulich zu mir gesagt. »Wie wär’s, wenn wir mal einen etwas helleren Ton ausprobieren würden?« Ich war entsetzt.
Siebzehnmal im Jahr für geschlagene zwei Stunden bei Dino zu sitzen, ist todlangweilig, und so gehe ich, wann immer es möglich ist, zusammen mit Gabriella hin. Sie sitzt auch jetzt neben mir und sieht aus wie ein Fisch in Folie. Im Prinzip sehen wir beide aus wie Ungeheuer, und zu allem Unglück kann ich nicht lesen,
weil ich sonst Anna Gavaldas Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet bekleckern würde.
»Und? Willst du mir nichts erzählen?«, fragt Gabriella in meine Richtung.
»Ich will dir immer eine ganze Menge erzählen.«
»Was meinst du? Sollten wir die ganze blöde Haarfärberei nicht einfach sein lassen? Der neueste Trend scheint schließlich, dass man zu seiner Natürlichkeit steht. Schau dir Helen Mirren an.«
»In Italien färben sich achtzig Prozent der Frauen die Haare. Warum sollen ausgerechnet wir den Schnitt drücken? Helen Mirrens Weiß ist nicht natürlich, es ist gefärbt. Das löst das Problem auch nicht.«
»Es würde aber von Selbstvertrauen künden, wenn wir zu unserem Grau stehen. Wir könnten demonstrieren, dass wir keine Angst vor dem Alter haben.«
»Ich habe aber panische Angst vor dem Älterwerden. Weiße Haare wäre das Letzte, was mir dazu verhelfen könnte, dass ich mich gut fühle. Da bin ich mir sicher.«
»Kann es sein, dass du gerade die Haare vorschiebst, um von etwas anderem abzulenken?«
»Was willst du hören? Aufregende, ironische, überkandidelte, ätzende, gepfefferte oder erotische Geschichten? Da fällt mir leider nichts ein, ich muss dich enttäuschen.«
»Eigentlich möchte ich nur wissen, wie es dir geht, aber wenn du so aggressiv bist, weiß ich gleich, dass es dir überhaupt nicht gut geht. Was sind das denn für ätzende Geschichten?«
Seufzend gebe ich nach. »Ihn wiederzusehen, war wunderschön, wie immer. Es geht uns so gut miteinander... Aber wenn ich dann nach Hause zurückkomme, bin ich in den ersten Tagen immer ein wenig nervös. Und vor allem gewöhne ich mich nur ganz langsam wieder an den Alltagstrott.«
»Den Alltagstrott...«
»Ich wollte an unserem letzten gemeinsamen Tag Schluss machen, wollte ihm sagen, dass es bei jedem Abschied so ist, als würde in meinem Bauch etwas zerreißen. Aber ich kam mir so pathetisch vor, und das mag ich nicht, wie du weißt. Wenn man denkt ›Das muss jetzt ein Ende haben‹, dann ist das, als würde man Selbstmord begehen wollen. Und plötzlich fehlt einem der Mut. Kurz und gut, ich habe ihm praktisch nichts von dem gesagt, was ich sagen wollte.«
»Hat er von ihr geredet?«
»Von wem?«
»Von seiner Frau. Das ist ein Thema, das mich interessiert.«
»Ja, hat er.«
»Und?«
»Er liebt sie nicht mehr, aber er fühlt sich für sie verantwortlich, weil sie all die Jahre in seinem Schatten gelebt hat. Wir haben
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