Und immer wieder Liebe Roman
die ganzen Jahre hinweg ausgetauscht haben, und als sie sich dann wiederbegegnet sind, haben sie sich... erkannt. Als Du weg warst, habe ich in meiner Langsamkeit etwas Zeit gebraucht. Ich wollte wissen, ob Du in die Kategorie Träume und Schäume gehörst, ganz zu schweigen von diesen Schmonzetten, in denen sich Leute nach unendlich langer Zeit wiedersehen undsoweiterundsofort. Dein Brief ist gekommen, und nun, siehe da, ich setze unseren Dialog fort.
Das war’s
Emma
P.S. Ich bin bestürzt über die Sache mit Daniele. Wer war das, und wie kann es sein, dass ich mich von Dir abgewendet habe? Ich erwarte Details über mein ungebührliches Verhalten.
Es ist Samstagabend, Mattia muss eine Verabredung haben. Seit sechsunddreißig Minuten rennt er ständig rein und raus aus dem Bad. Mal hängt ihm das Hemd aus der Hose, dann hat er plötzlich ein dunkles an, verschwindet und kommt mit dem weißen wieder, dem engen mit der schmalen Krawatte. Die Liebe mit all dieser Unsicherheit im Gepäck ist in jedem Alter gleich.
»Brauchst du einen Rat, Schatz?«
»Ich kann mich nicht entscheiden, Mama. Was ist cooler, das Hemd oder das Sweatshirt?«
»Zieh beides übereinander an. Das Sweatshirt kannst du dann irgendwann ausziehen«, antworte ich zerstreut, weil in meiner Tasche immer noch Federicos Brief wartet. Ich habe ihn noch nicht gelesen. Er ist lang, und ich möchte ihn in Ruhe genießen, wenn Mattia die Zelte abgebrochen hat.
»Vergiss es, Mama. Hemd und Sweatshirt zusammen ist das Allerletzte. Hast du zehn Euro für mich?«
New York, den 7. Juni 2001
University Café
Liebe Emma,
ich sitze an einem Tisch in der Bar gegenüber von Beyer Blinder Belle, dem Architekturbüro, in dem ich mit einer Gruppe von außergewöhnlichen Kollegen zusammenarbeite. Vom ersten Moment an, als der Chef das Projekt zur Restaurierung und Erweiterung der Morgan Library erläuterte, fühlte ich mich ihnen
verbunden. Beyer Blinder Belle Architects and Planners LLP setzt sich seit 1968 (nicht nur für uns Europäer ein prophetisches Datum) für eine am Menschen orientierte Architektur ein und fordert die Einheit von Gebäude und Individuum. Banal, magst Du jetzt vielleicht denken, aber nicht für alle Architekten ist das selbstverständlich. Rechts vom Eingang, wo sich unsere Gruppe eingerichtet hat, hängen Preise, gerahmte Urkunden und Arbeitsskizzen von Projekten aus allen Gegenden der USA, außerdem von Bill Clinton und George W. unterzeichnete Belobigungen. An den Wänden des Büros stehen Pappmodelle von bereits realisierten Gebäuden: Das Immigrationsmuseum in Ellis Island, das South Street Seaport Museum hier in New York, das Muhammad-Ali-Zentrum in Louisville, Kentucky, das Kunstmuseum in Montclair, New Jersey, das Red Star Line Memorial in Antwerpen und viele andere. Bei BBB arbeiten hundertsiebzig Architekten, die alle davon überzeugt sind, dass die Menschen Räume brauchen, um sich zu versammeln und sich wohlzufühlen. Mein direkter Kollege ist Frank Prial Jr., und er liebt seine beiden Kinder, seine Frau und unser Projekt. Seine Leidenschaft gilt der Rettung historischer Gebäude. Wenn es um die Bewahrung des Vergangenen geht, versteht er keinen Spaß, auch wenn es den Objekten neues Leben einzuhauchen und neue Funktionen zuzuteilen gilt. Du kannst Dir vorstellen, wie einig wir uns über den Ausbau der Morgan Library sind, dieses Horts der wertvollsten Manuskriptsammlungen, Bücher, Partituren und Gemälde der Welt. Für mich ist es die erste wirklich verantwortungsvolle Stelle, für ihn ist es ein Wiedersehen mit Europa, wo er einige Jahre lang mit seiner Familie gelebt hat. Das Projekt Morgan Library wurde vor einem Jahr an uns herangetragen. Ich war mit Piano in Venedig, und wir fuhren gerade mit dem Vaporetto zum Bahnhof, als er mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck fragte,
ob ich mich an die Anfrage erinnern könne. »Nun, sie haben sich noch einmal gemeldet und uns gebeten, es zu machen«, sagte er. Der Auftrag war einstimmig an den Renzo Piano Building Workshop vergeben worden. Die Idee des Chefs ist es, die existierenden Gebäude miteinander zu verbinden, alles Überflüssige wegzunehmen und so das Volumen der Bibliothek um etwa die Hälfte ihrer ursprünglichen Kapazität zu vergrößern. Das Schwierigste war, sich darüber zu verständigen, was überflüssig ist. Die Morgan Library hat bereits ein paar Umbauten über sich ergehen lassen müssen. 1928 war sie um einen unbedeutenden
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