Und immer wieder Liebe Roman
wollte auf der Stelle sterben, wollte mich von den wirbelnden Massen den Ausguss hinunterreißen lassen. Ich schaffte es gerade noch, mir den Bademantel überzuziehen und mich aufs Bett zu werfen. Dort bin ich dann zusammengeklappt.
Wenige Stunden später habe ich mich dann zurechtgemacht für den Tag – wie die typische Buchhändlerin: altmodisches Schlauchkleid aus auberginefarbenem Mohair, extrem hochhackige Schnürschuhe (ein Geschenk von Michele, der als einer
der wenigen meinen Schuhgeschmack kennt), Bakelitohrringe, leichtes Make-up. Nachdem ich noch schnell zum Friseur gehetzt war, stellte ich mich meinen Nachbarn vor. Viele habe ich an der Piazza Sant’Alessandro nicht, aber alle haben sich begeistert über meinen Laden gezeigt (»Ausschließlich Liebesromane? Kommen da nicht nur Frauen? Männer reden doch nicht so gern über die Liebe«) und liebevoll meiner Tante Linda gedacht: Der rüstige Tabakhändler, ein militanter Nichtraucher, der seine Zigaretten nur mit verächtlich verzogenem Mundwinkel verkauft, der Antiquitätenhändler, der seine Tage hinter dem Schaufenster verbringt, zwischen waghalsig übereinandergetürmten Möbeln und kleineren Wohnaccessoires, der Cafébesitzer, dem ich erst beibringen musste, dass ich den Cappuccino lieber ohne Schaum mag, die Wäscherin Luisa, der Fleischer an der Ecke und Emily, die Hausmeisterin.
Meine Angst verschwand jedoch nicht. Ich wanderte unruhig in der Buchhandlung herum, rückte Buchstapel zurecht und kontrollierte das Telefon – wer weiß, vielleicht würde ja jemand anrufen und nach einem Titel fragen, schließlich hatte ich im ganzen Viertel Visitenkarten verteilt, auch an der Kasse der FNAC, dieser Riesenbuchhandlung, die nur zweihundert Schritte von meinem Laden entfernt ist. Das Türglöckchen funktionierte ebenfalls. Vormittags um elf wandte ich mich meiner großartigen Ware zu und schaute meinem Traum ins Auge, den ich gegen eine Horde von Bedenkenträgern und bestärkt durch das großzügige Angebot des ein oder anderen Buchliebhabers, abends mal reinzuschauen, verwirklicht habe. Zur Beschwörung der guten Geister hatte ich keine Einweihungsparty organisiert. Ich musste alleine klarkommen und dem Markt die Stirn bieten. Dazu hatte ich mit mir selbst einen Pakt geschlossen: Wenn der erste Tag ein Fiasko würde, würde ich mindestens fünf Dinge tun, die ich zutiefst verabscheue.
Die Auswahl war nicht einfach, da meine Liste der verabscheuungswürdigen Dinge riesig ist, aber schließlich stand sie fest: Wenn in der ersten Stunde niemand kommen würde, wollte ich im Supermarkt einkaufen und einen Sechserpack Eineinhalbliterflaschen Wasser nach Hause schleppen. Nach der zweiten Stunde würde ich eine ganze Woche lang nicht mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fahren. Nach der dritten Stunde würde ich zwei Wochen auf den Friseur verzichten. In der Folge kamen noch anspruchsvollerer Schwüre und Opfer auf meine Sühneliste – einen Monat lang nicht rauchen, nur auf jede zweite Fliese treten, eine Woche lang jeden Tag drei unangenehme Anrufe tätigen, jeden Morgen eine halbe Stunde joggen (was für eine Anhängerin der sanften Gymnastik eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands darstellt), zur Bank gehen, ohne mit dem Schalterbeamten zu streiten, sich nicht über die Unfähigkeit eines beliebigen Verkäufers in einem beliebigen Geschäft aufregen, eingeklemmt in der Straßenbahn stehen und ein Buch lesen, ein ganzes Glas Wein in einem Zug austrinken, keinen Kommentar zu den Stoffbergen abgeben, die sich in Mattias Zimmer auftürmen (Jeans, Boxershorts, Sweatshirts) und auch nicht zu dem überquellenden Aschenbecher dazwischen.
Nach einer Stunde und sieben Minuten ist sie eingetreten. Meine erste Kundin. Sie trug flache, violette Stiefelchen, eine Hose mit riesigen Seitentaschen, eine braune Samtjacke, schulterlange, gestufte Haare. Ihr Busen war üppig (jenseits Körbchengröße D, grob geschätzt), ihre Haut sehr hell und ihre Augen sehr klar. Ich war sprachlos vor Freude und habe sie einfach machen lassen. Mit den Fingerspitzen und ihren glänzenden Augen glitt sie über die Buchstapel und juchzte unentwegt in überschwänglicher Begeisterung.
»Neiiin, wie schööön«, quiekte sie, ohne zu wissen, dass sich genau
in diesem Moment meine von der vielen Packerei herrührenden Rückenschmerzen verzogen.
»Und Sie verkaufen wirklich nur Liebesromane? Das ist ja der helle Wahnsinn! Verpacken Sie die auch als Geschenk? Sie sind ein
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