Und immer wieder Liebe Roman
Genie!«
Genau.
»Ich ertrage das nicht, wenn man Bücher in eine Plastiktüte stopft, Sie wissen schon, so eine mit dem Logo obendrauf. Sie sind doch keine Strumpfhosen! Und wissen Sie was? Ich will mein Buch auch eingepackt und mit einer Schleife verziert haben, wenn ich es für mich selbst kaufe!«
Donnerwetter, sie hat es wirklich gesagt: Ich will. Und ich, die ich mich für immer und ewig von Tyrannen befreit zu haben glaubte, begriff nun, dass dies meine neuen Tyrannen sein würden: die Leser. Im Allmachtswahn der Anfängerin dachte ich jedoch, dass es mir schon gelingen würde, sie zu Komplizen, vielleicht sogar zu Freunden zu machen.
»Ich arbeite in dem Haus da drüben, ich bin Statistikexpertin und mache zurzeit für 1127 Euro im Monat Marktrecherchen«, erklärte sie knapp, aber mit Sinn fürs Detail.
»Sie können jederzeit hierherkommen, wenn Sie sich von den Zahlen erholen wollen«, antwortete ich und überwand allmählich die Schüchternheit, die mich am Verkaufstresen festnagelte.
Die erste Kundin, ein Trüffelhund namens Cecilia, hat mich mit dem Erwerb von drei Titeln aufgemuntert: Sei du mir das Messer von David Grossman, Der Liebesbrief von Cathleen Schine und Königskinder von Reinhard Kaiser. Natürlich mussten sie alle einzeln verpackt werden. Ich gab mir Mühe, obwohl ich überzeugt war davon, dass alle drei für sie selbst waren und abends schon wieder ausgepackt würden. Seit jenem Tag kommt Cecilia regelmäßig in den Laden, schnüffelt, blättert und holt Informationen
ein, als würde sie ein Verhör leiten, denn sie misstraut Bestsellern, Werbeanzeigen, poetischen Ausschmückungen, Übertreibungen, Zitaten berühmter Leute (meist Schriftsteller oder Freunde von Schriftstellern), die von Meisterwerken schwadronieren und vom »lang erwarteten Roman«. Sie folgt dem Instinkt der listigen Leserin, die sich nicht vom Klappentext beeindrucken lässt, sondern die ersten Zeilen liest, dann aufs Geratewohl eine Seite aufschlägt und schließlich selbstsicher ihr Urteil verkündet. Entweder sie verliebt sich auf den ersten Blick, oder sie stellt das Buch ohne jedes Bedauern an seinen Platz zurück. Sie kommt in der Mittagspause oder abends um sechs; manchmal kommt sie aber auch nur, um kurz Hallo zu sagen oder einen Tee zu trinken. Wir reden über Bücher und ihre flatterhaften Verlobten. Trotz des Generationsunterschieds hat ihr leicht neurotischer Zugang zur Literatur viel Ähnlichkeit mit dem meinen, während Alice, die genauso alt ist wie Cecilia, sie etwas überkandidelt findet.
Ich bewundere sie natürlich.
New York, den 21. Juni 2001
Barnes&Noble
Union Square
Liebe Emma,
verglichen mit Dir bin ich ein Ignorant und unwillig, mich mit Romanen auseinanderzusetzen. Um etwas gegen das Minderwertigkeitsgefühl zu tun, das Du in mir auslöst, habe ich mir heute eine 798 Seiten dicke Biographie von John Pierpont Morgan gekauft, von dem Mann also, dem ich meine amerikanische Erfahrung verdanke. J. P.M. ist mein Arbeitgeber; ihm verdanke ich letztendlich, dass ich hier bin. Die Buchhandlung Barnes&Noble am Union Square ist über die Jahre zu einem meiner Lieblingsplätze
geworden. Sie hat vier Etagen, eine große CD-Abteilung und eine Teenager-Ecke [sic!], wo ich Bücher für Sarah aussuche. Du bist die einzige mir persönlich bekannte Buchhändlerin (eigentlich kenne ich außer Dir überhaupt keine Buchhändlerinnen), in deren Kaffee-Ecke auch Leute willkommen sind, die nichts kaufen. Ich sitze an einem dunklen Holztischchen in der Cafeteria im zweiten Stock, unter mir schwarz-weißer Fliesenboden, vor mir ein Rosinenmuffin und ein Kaffeegetränk. Ich habe eine Stunde für mich, und ich lasse es ruhig angehen.
Die Leute an den anderen Tischen lesen (zumindest haben sie alle ein Buch oder eine Zeitschrift in der Hand). Jemand schreibt, jemand lernt, ein paar Leute tippen auf ihrem PC herum. Das prozentuale Verhältnis würde Dich beruhigen: vier Computer, ansonsten nur Papier. Unter diesen lesenden Geschwistern im Geiste wärst Du glücklich. Ich nippe an der heißen Brühe im Pappbecher und lese die ersten Seiten über diesen außergewöhnlichen Mann, der mein Chef ist. Kurze Zusammenfassung. J.P.M. war Spross einer berühmten Familie, deren männliche Vorfahren Universitätsgründer und Dichter waren. Er selbst erfreute sich nie einer wirklich robusten Gesundheit – bereits als Kind bekam er Rheuma, und seine Familie schickte ihn auf die Azoren. Irgendwann kamen die Eltern
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