Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
Vom Netzwerk:
Eitelkeit, aber was für einen Eindruck hat unser Wiedersehen auf Dich gemacht?
     
     
    Einer der Vorteile der Buchhandlung ist es, dass sie mich von einem Schuldkomplex befreit: dem nämlich, mich nicht an alle Bücher erinnern zu können, die ich gelesen habe. Ich habe ganze Inhalte vergessen, Anfänge und Enden, aber jetzt habe ich einen Grund, etliche Werke noch einmal zu lesen, so als wäre es das erste Mal. Die Kunden fragen nach Titeln und zwingen mich zu diesem unaufhörlichen Engagement. Heute kam Signor Bianchi in den Laden und fragte nach einer bestimmten Sammlung Liebesgeschichten von Guy de Maupassant, er wolle sie einer Freundin seiner Frau mitbringen, weil sie dort zum Essen eingeladen seien. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, dass es eine solche Ausgabe mit fünfundsiebzig Erzählungen überhaupt gibt. Man muss sich das mal vorstellen: fünfundsiebzig Liebesgeschichten von einem der unermüdlichsten Verführer der Literaturgeschichte. Alice hat den Band schließlich im Regal »Liebe in allen Bandbreiten« gefunden und sofort wieder ihre Litanei von der Notwendigkeit einer elektronischen Erfassung der Bücher angestimmt. Ich habe sie abgewürgt und bin einen Cappuccino trinken gegangen, unter den Augen des Barmanns, der sich vermutlich gefragt hat, warum ich dort sitze, wo ich doch eine ganze Buchhandlung zum Kaffeetrinken zur Verfügung habe.

     
     
    Mailand, den 19 . Mai 2001
Bar Tabacchi an der Piazza Sant’Alessandro
     
    Lieber Federico,
    unter meinen Füßen schwankt der Boden. Was Du schreibst, ist das reinste Enthüllungskarussell. An die Nacht in Venedig kann ich mich nicht erinnern, aber das mit der Besetzung der Fakultät kann man kaum vergessen. Mein Vater war außer sich. Ich werde wohl zum ersten Mal außer Haus geschlafen haben, und er war überzeugt davon, dass ich meine Unschuld beim obligatorischen Gruppensex mit Wildfremden verloren habe. 1976 ist er gestorben, Knochenkrebs. Ich weiß wenig über seine Krankheit, meine Mutter hat nur ungern darüber gesprochen, fast so, als ginge nur sie das etwas an, sie, die unsterblich in ihn verliebt war und ihn um zehn Jahre überlebt hat. Dass unsere Eltern sich geliebt haben, ist eine unserer Gemeinsamkeiten. An unseren Urlaub in Kalabrien (den vom Foto) erinnere ich mich nur vage. Nett, die Geschichte mit dem Pausenflur. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich mich gleichzeitig in Dich und in die Romane verliebt habe, auch wenn ich schon als Kind verrückt nach Büchern war und die Schriftsteller (immer Männer – wer weiß, warum) vor mir sah, wie sie in wilder Hast oder an einem Bleistift kauend Sätze auf den Block auf ihren Knien schrieben. Was mich immer schon mehr fasziniert hat als Bilder und Skulpturen – anders als Gabriella, die ihnen ihr ganzes Leben gewidmet hat und an unserem alten Gymnasium Kunst unterrichtet – ist die Immaterialität der Worte, die nicht aus einer Farbtube kriechen oder sich in Ton kneten lassen oder aus Zeichnungen erwachsen, die sich dann in Brücken verwandeln. Da werde ich bei Dir ja hoffentlich nicht an einen sensiblen Punkt rühren? Das Wort ist immateriell und hat in meinen Augen dennoch mehr Macht als jede körperliche Geste. Es entsteht aus einer Idee, aus einem Gedanken, aus
einer beliebigen Beobachtung in der Natur oder auf der Straße, einem Haus, einem Gesicht, einer Ohrfeige, einer innigen Umarmung, und paff, plötzlich verändert sich deine Welt. Oder wenigstens deine Wahrnehmung von der Welt. Auch wenn Virginia Woolf schreibt, dass Worte kaum dazu berufen sind, nützlich zu sein, kann ich ohne sie nicht auskommen.
    Was für einen Eindruck unser Wiedersehen auf mich gemacht hat? Das vorherrschende Gefühl war Neugier, ich wollte wissen, was aus Dir geworden ist. Du bist immer noch schön (es war also kein Schock, Du bist kein Monster geworden – dabei ist das Risiko, das kann man doch ruhig sagen, stets gegeben), aber die eigentliche Überraschung war das Gefühl, Dich zu kennen, ohne dass ich mich an unsere gemeinsame Vergangenheit erinnern könnte. Du warst jemand Neues, und doch habe ich zwischen uns eine Vertrautheit gespürt, die mich davon abgehalten hat, mich zu verteidigen, mich zu schützen, Dinge vorzutäuschen, wie ich es sonst oft tue. Ich habe mich mehr als wohl gefühlt, ich hatte Vertrauen. Zu Hause habe ich mich von der Überzeugung einlullen lassen (bitte lach jetzt nicht), dass sich unsere Seelen, während wir mit anderen Dingen beschäftigt waren, über

Weitere Kostenlose Bücher