Und immer wieder Liebe Roman
Via Lecco (wie hieß sie?), wo Du mit Enrico und den anderen gespielt hast. Mit dem Queue in der Hand, den Blick auf die bunte Kugel konzentriert, sahst Du wie ein Cowboy aus.
Die Dartpfeile auf der Terrasse bei Dir zu Hause: niemals das Ziel getroffen (ich).
Die Fußballturniere zwischen der 5A und der 5B, ich auf den Rängen. Von den Regeln und den Aktionen verstand ich nicht viel, sieht man mal davon ab, dass selbst ich wusste, dass gewinnt, wer den Ball am häufigsten ins Tor bugsiert. In einer spontanen Umfrage unter uns Mädchen wurdest Du zum Spieler mit den schönsten Beinen gewählt.
Rockmusik. Im nächsten Brief werde ich eine Liste der Songs erstellen, von denen ich mich auch heute nicht trennen kann.
An mehr kann ich mich nicht erinnern, ich frankiere den Brief und gehe ihn einwerfen.
Emma
New York, den 8. Mai 2001
42 W 10 th St
Liebe Emma,
es ist drei Uhr morgens, und ich kann nicht einschlafen. Unten in unserem Haus ist ein Deli, und ich habe mir dort soeben einen Liter Milch geholt. Ich habe mich mit der Verkäuferin angefreundet und plaudere mit ihr, wenn ich nach der Arbeit oder mitten in der Nacht nicht sofort hochgehen mag, so wie heute. Sie ist immer da. Du machst Dir keine Vorstellung davon, wie die Leute hier teilweise arbeiten, für sechs Dollar die Stunde, achtzig Stunden in der Woche, Tag und Nacht, denn hier ist praktisch überall »24hours operation«. Die Kassiererin meines Deli ist aus Nicaragua geflohen, wo die Sandinisten ihre Familie niedergemetzelt haben. Ich trinke ein Glas kalte Milch und schreibe Dir. Du fragst mich, wie wir waren, und ich kann es kaum glauben, dass Du die wichtigsten Monate Deiner Entwicklung vergessen haben solltest – die Monate mit mir nämlich (kleiner Scherz, wenn auch nicht nur). Mein Leben war ein ziemlich einfaches Spiel: Fußball, Musik und Architektur (nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge). Bäuerliche Familie, die aber zur ersten Generation der »Industrialisierten« gehörte, der Vater ständig weg, nur mit Arbeiten und Geldverdienen beschäftigt, im Sommer allerdings häufig bei der Familie und erpicht darauf, dass ich mindestens einen Monat im Haus am Meer verbrachte. Meine Mutter (erinnerst Du Dich wenigstens an sie?) ist 1971 gestorben. An jenem Tag hat der Schlamassel angefangen. Mein Vater wurde noch verschlossener, hat noch mehr gearbeitet (ich habe ihn kaum noch gesehen) und hat sich viel um meine schulischen Leistungen, aber wenig um mein Befinden gekümmert; er verstand nicht, dass ich mich trotz allem wacker schlagen würde. Du hast einen Bruch mit meiner alten Welt bedeutet, weil du anders warst als alle anderen,
und soweit ich es beurteilen kann, bist Du so geblieben. Ich besitze eine innere Bibliothek, die nur mit Dir zu tun hat, und dort kann ich noch so einiges finden.
Wie ich Dich erobert habe (unsere Kinder würden »abgeschleppt« sagen)? Du lagst im Pausenflur auf dem Rücken auf einem Tisch, während ich mich mit einem gewissen Erfolg, zumindest bei den Mädels, an der Gitarre versucht habe. Ich habe Dich etwas gefragt, was, erinnere ich mich nicht mehr. Du hast die Augen von Deinem Buch losgerissen (fixe Idee? Vorahnung?) und mich angesehen, als hätte ich mich in irgendein Meisterwerk eingeschlichen. Dunkle Blicke durchbohrten mich, und ich kam mir wie ein Idiot vor. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich den Widerstand gebrochen hatte, aber dann bist Du mir in die Arme gefallen. Lass mir die Illusion, Dich erobert zu haben, und erinnere Dich in dieser Weise daran. Andere Postkarten einer Liebe: nächtliche Fahrt nach Venedig, Rückkehr in den frühen Morgenstunden. Ich hatte soeben erst den Führerschein gemacht und meinem Vater den Wagen entwendet. Wie ein Superheld kam ich mir vor, und Dir an der Bude an der Piazza Roma, wo der Parkplatz ist, einen Cappuccino zu spendieren, war für mich der Gipfel der Romantik. Besetzung der Fakultät für Architektur, wo wir uns als unbedarfte Gymnasiasten hineingeschlichen hatten. In diesen Räumen, wo uns die Studenten so erwachsen vorkamen, muss es gefunkt haben. Urlaub in Kalabrien. Der vom Foto vermutlich. Ein Konzert der Compagnia di Canto Popolare. Der achtzehnte Geburtstag von irgendwem: Du hast Zahnschmerzen, mein Freund Daniele spielt den »Wunderheiler«, ich leide wie verrückt vor Eifersucht, auch wenn ich Dir, mein Mädchen, diesen leichtfertigen Mangel an Sensibilität nicht übelnehme.
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Federico
P.S. Ich frage nicht aus
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