Und immer wieder Liebe Roman
genehmigen. Die passen zur Einrichtung, sorgen für einen Hauch von Nostalgie und kosten nicht viel«, erläutert er.
Ein Schleier aus Sägemehl legt sich wie Talkumpuder über die Tische. Gott sei Dank hatte ich mich vorher mit den Handwerkern beraten und die Bücher mit Plastikplanen abgedeckt. Ich sauge Staub, es ist halb neun, und ich muss zugeben, dass der Treue Feind recht hatte: Die Metallpropeller über meinem Kopf zischen zwar wie Steaks auf dem Grill, aber sie spenden Erfrischung. Bald wird Alice kommen und mit dem zweiten Krisenthema aufwarten: die Klassifizierung der Bestände. Auch darin sind wir uns notorisch uneinig. Während es für mich ein Vergnügen ist, Bücher nach Kategorien zu ordnen, nimmt Alice das unendlich ernst. Ich sortiere nach gelesenen und ungelesenen Titeln, nach jenen, von denen ich möchte, dass die Kunden sie lesen, und jenen, die mir von ihnen empfohlen werden. Alle haben freien Zugang zur Tafel und können kritisieren, rezensieren, Kommentare abgeben. Alice meint, wir müssten zu einer »objektiveren und umfassenderen Einschätzung« gelangen, die Auswahl der Romane dürfe nicht zu persönlich sein. Dem Treuen Feind ist das egal, er beharrt nur darauf, dass die Tafel zu viel Platz wegnimmt und durch eine Magnettafel ersetzt werden sollte.
In unserer Buchhandlung lebt die partizipatorische Demokratie – was meine beiden Mitstreiter allerdings nicht begreifen, ist, dass alle meine Listen und Verzeichnisse dazu da sind, die Angst zu besänftigen wie eine Partie Trivial Pursuit oder Monopoli oder Rommé. Für gewöhnlich beginnen die Diskussionen mit Alice montags in einem gemäßigten Ton und werden dann im Laufe der Woche zusehends hitziger, weil samstags die fertige Liste auf die alte Schultafel übertragen werden muss, die ich bei der Versteigerung einer Grundschuleinrichtung erworben habe. Heute ist Donnerstag, und es besteht noch eine Art Patt. Meine Liste heißt »Verkäufliche Liebe«, auch wenn ich sie in Wahrheit nicht nach Umsatzzahlen, sondern nach eigenem Gutdünken erstelle. Alice besteht auf »Liebe als Sonnenschirm«.
»Es sind nur noch wenige Tage bis zur Sommerpause, da verkauft man doch vor allem Bücher, die man an den Strand mitnehmen kann«, sagt sie und zieht besserwisserisch die Nase kraus.
»Und was ist mit den Leuten, die in die Berge fahren? Und haben die Kunden im Hügelland, am See, auf einer Yacht oder in einer ausländischen Stadt kein Recht auf ihren Roman? Erklär mir doch mal, was die Besonderheit deiner Sonnenschirmbücher sein soll.«
Dabei kommt mir der Gedanke, dass ich Listen für Leute mit bestimmten Urlaubszielen anlegen könnte. Für diejenigen, die nach Paris fahren, empfehle ich Balzac, Zola, Maupassant, Proust. Bei Prag könnte man Kafka nehmen, auch wenn der nie Liebesromane geschrieben hat (aber wenn man an die Trostlosigkeit seines Herzens denkt, kann man ihn unmöglich unterschlagen). Und Kundera, Die Unwissenheit, Abschiedswalzer, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Kroation, das als Urlaubsziel äußerst beliebt ist, bereitet mir allerdings Probleme. Nischenliteratur, würde Alberto einwenden, der sich aber in das Problem der Klassifizierung
nie einmischt, weil es nichts kostet. Ich ertrage es nicht, mich mit meiner sturen Assistentin zu streiten, selbst wenn man unsere Auseinandersetzungen zugegebenermaßen nicht wirklich als Streit bezeichnen kann. Wir liefern uns eher Wortgefechte oder Geplänkel. Der Generationsunterschied zwischen uns macht sich fast physisch bemerkbar: Sie treibt mich in den Wahnsinn mit ihrer robusten Psyche und dem Wissen, dass ich Konflikte nicht aushalte, auch solche nicht, die sich vage im Bereich des Intellektuellen abspielen. Ich warte auf sie, ungeduldig. Bis zum Mittag brauche ich einen Kompromiss zwischen Kiefern und Sonnenschirm, zwischen London, Prag und den Reichen auf ihren Yachten, diesen seltenen, aber spendablen Lesern. Sie reisen mit Skipper und Bootsmann an Bord; Ehefrauen und Freundinnen haben immer ein ganzes Gefolge im Schlepptau, und am Ende der Ferien hinterlassen sie einen Haufen erbärmlich zugerichteter Bücher, die Seiten vom Salzwasser gewellt. Für den Yachturlaub empfehle ich tatsächlich eher Taschenbücher, weil man sie ohne großes Bedauern an Bord lassen kann. Auf meine Liste kommen übrigens auch Bücher für Leute, die gar nicht in den Urlaub fahren. Urlaub vom Buch – die echten Leser wissen gar nicht, was das sein soll.
LIEBELEIEN DER WOCHE
1. Edward
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