Und immer wieder Liebe Roman
quälte und auch die Ursache für seine berüchtigte riesige, abstoßende Nase war. Ich werde mal nachforschen, aber mir scheint das eine gute Fährte zu sein, um den Mythos in einen Menschen zu verwandeln.
Ich umarme Dich,
Federico
P.S. Was das Liebesleben unseres Mannes angeht, schreibe ich Dir in einem der nächsten Briefe etwas darüber, auch wenn mich diese Seite seines Lebens weniger interessiert.
Mailand, den 4 . August 2001
Lust&Liebe
Federico,
der Fechter mit der Riesennase aus der Weltliteratur liebt heimlich die schöne Roxane, die wiederum den schönen Christian liebt. Um sie zu erobern, reicht es allerdings nicht aus, schön zu sein, muss Christian lernen, sondern man muss auch ein Dichter sein. Christian ist schön, Cyrano ist Dichter. Gemeinsam sind die beiden stark, auch wenn sie der Schönen verschweigen, von wem die wunderbaren Liebesbriefe wirklich sind, und Roxane kapituliert. Erst im Alter erfährt sie von Cyranos Liebe. Obwohl sie sich vorstellen könnte, sie zu erwidern, ist es mittlerweile spät. Wer weiß, ob J. P. M. das Stück von Rostand gelesen und sich
von der berühmtesten Nase der französischen Literatur verstanden gefühlt hat.
Emma
P.S. Du machst einen Fehler, wenn Du Dich nicht für seine Liebesgeschichten interessierst. Kindheit und Erfahrungen in der Liebe sind der beste Weg, um einen Menschen zu verstehen. P.P.S. Ich fahre zwei Wochen mit Gabriella, Alberto und ein paar Freunden weg. Wir haben in Roussillon in der Provence ein Landhaus gemietet. Mattia kommt mit seiner Freundin (seiner ersten!) nach, und wir sind alle froh, dass sie sympathisch, umgänglich und vor allem ordentlich ist. Ich werde also bald alle Zeit der Welt haben, Dir zu schreiben.
New York, den 11. August 2001
eine Bank auf dem University Place
Liebe Emma,
New York ist ein Freiluftofen. Sarah und Anna sind in Maine, dem Land der Langusten und Riesenmuscheln. Ich werde nachfahren, und dann reisen wir gemeinsam nach Kanada weiter. Jetzt habe ich mich aber erst einmal in einen Park in der Nähe meines Büros zurückgezogen, um Dir zu schreiben. Unter den Platanen musizieren Studenten. Das Thermometer zeigt 98 Grad Fahrenheit an, die Feuchtigkeit lässt das Hemd wie ein Schweißtuch an der Haut kleben. Der Asphalt hat bald den Schmelzpunkt erreicht, während die Klimaanlagen in den Restaurants und Geschäften einen umbringen. Ich habe einen Reiseführer gekauft, um meine Damen mit den Schönheiten der Mount Desert Island vertraut zu machen, wo sich auch unser Morgan eine Villa hat bauen lassen, mitten in den Acadia National Park. Sie steht
dort, wo man als Erstes auf dem ganzen Kontinent die Sonne aufgehen sieht. Überwältigend. Als ich in dem Reiseführer blätterte, musste ich an Dich denken: Außer den Morgans, den Vanderbilts und den Fords hat in dem Nationalpark auch eine Schriftstellerin gewohnt, die in Deiner Buchhandlung sicher nicht fehlt – Marguerite Yourcenar. In ihrem Holzhaus unter Ahornen, Eichen und Birken schrieb sie Ich zähmte die Wölfin (habe ich leider nicht gelesen). Das Haus ist offenbar vollständig erhalten, es ist mit Büchern tapeziert, und unter der Pergola steht ihr Schaukelstuhl. Ich werde Sarah die Wale zeigen, die ich in Wahrheit selbst gerne sehen möchte. Als Debütant. Eine schöne Zeit in der Provence, meine Freundin,
Federico
P.S. Bis vor wenigen Monaten hätte ich in die Liste der zu besuchenden Stätten niemals das Haus einer Schriftstellerin aufgenommen. Dein Verdienst oder das von Morgan?
Der fröhlichste Platz in diesem Dorf ist das Café am Marktplatz, wo ich mich zwischen Tischen aus Holz und Schmiedeeisen niedergelassen habe. Acht Alte, deren Gesichter wie aus Baumrinde geschnitzt aussehen, spielen Boule. Die Stille an diesem Morgen war verdächtig. Sie haben mich in Ruhe gelassen, vermutlich aus übertriebener Rücksichtnahme. Nur Mattia ist um halb neun in mein Zimmer gestürzt.
»Ich habe mir den Wecker gestellt, Mum. Ich hoffe, du weißt das zu würdigen, und Glückwunsch übrigens!«, hatte er mir verschlafen ins Ohr gerufen und mir mit der Anmut einer Dogge die Haare zerzaust. Nach dem Frühstück wurde ich freundlich aus dem Haus hinauskomplimentiert. Sie wollen unbedingt ein
Fest organisieren, und das erschreckt mich. Ich möchte nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ich habe Angst, Erwartungen zu enttäuschen, und würde mich am liebsten jeder Zeremonie entziehen. An einem so wichtigen Tag
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